Macabros Neu 01 - Der Leichenorden von Itaron
geöffnet und bemerkte gerade noch, wie Utian in einem Durchlass verschwand. Der Kularide passierte einen schmalen, von glattgespülten Felsen begrenzten Freiraum, drehte sich um und winkte, vom Wasserwiderstand verlangsamt, dass sie ihm folgen sollten.
Hellmark zog Anna mit sich, deren Augenlider flatterten. Sie hielt die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Er sah, wie ihre Kiefernmuskeln hervortraten. Sie mahlte mit den Zähnen aufeinander. Außerdem krallten sich ihre Finger um Björns Hand.
Da passierten die beiden auch schon den unterseeischen Durchgang.
Zu Hellmarks Überraschung kam dahinter eine große Höhle zum Vorschein. Sie konnten schon nach wenigen Metern mit dem Kopf über Wasser gehen. Der Wasserspiegel sank treppenartig kontinuierlich – und von Stufe zu Stufe blieb mehr Freiraum zwischen Wasseroberfläche und Höhlendecke.
Erst als er darüber nachdachte, wunderte sich Björn, dass er überhaupt etwas erkennen konnte. Die Höhle lag komplett unterirdisch; kein Sonnenlicht fiel herein. Stattdessen wuchsen an den Wänden schwammige, pilzartige Strukturen, die helles Licht absonderten.
Anna war sichtlich erleichtert, wieder atmen zu können. Sie schnappte nach Luft, als sei sie kurz vor dem Ersticken gewesen. Dabei hatten sie sich Hellmarks Schätzung nach lediglich etwa eine Minute unter Wasser aufgehalten.
»Folgt mir!«, wiederholte Utian und lief einen schmalen Weg seitlich des unterirdischen Flusses entlang.
Tropfnass wie sie waren, gingen sie hinter ihm her.
Hellmark war gespannt, was ihn in der unterirdischen geheimen Siedlung des Volkes erwarten würde. Vor allem blieb nicht viel Zeit, bis sie wieder aufbrechen mussten, um Utians Bruder zu befreien. Bis dahin galt es, möglichst viel über den Leichenorden von Itaron in Erfahrung zu bringen.
»Ita-Kularon ist nur eins der Länder unserer Welt«, erklärte Utian. »Es ist die Felsenlandschaft, die durch den Weg des Verderbens und Molochos’ Knochental vom Dschungelland abgetrennt ist. So war es schon immer, und so wird es bleiben.«
Die letzten Worte erschienen Hellmark wie eine Art Formel, die sein neuer Freund offenbar auswendig gelernt hatte. Wie eine Art Motto, nach dem die Kulariden lebten. »Wo werden wir deinen Bruder finden?«
»Am Opferplatz … Er liegt genau in der Richtung, die ich dir gerade genannt habe. Dahinter beginnt der Weg des Verderbens, den allerdings kein Kularide jemals beschritten hat. Du brauchst also erst gar keine Fragen darüber zu stellen.«
»Wie kommst du darauf, dass ich etwas darüber wissen möchte?«
»Du bist neugierig, Björn Hellmark – und neugierige Menschen begehren alles zu wissen. Auch Dinge, die sie gar nicht betreffen.«
Utian führte sie stets auf dem schmalen Weg weiter, der längst die Nachbarschaft des unterirdischen Flusses verlassen hatte. Meist gaben die Wandpilze so viel Helligkeit ab, dass nicht das Gefühl entstand, sich in einem unterirdischen Höhlengang zu befinden.
Bald weitete sich der Gang, bis sie am Eingang in eine gewaltige Kaverne standen.
Der Anblick war überwältigend. Sie schauten auf einen grob kugelförmigen Hohlraum von gigantischen Ausmaßen herab.
Björn schätzte die Entfernung bis zum jeweils anderen Ende auf mindestens hundert Meter. Die Pilzgewächse hatten sich an der Kavernendecke zu einem riesigen Geflecht verschlungen, das leuchtete wie eine Sonne.
In die Seitenwände schmiegten sich kleine Gebäude aus Holzgestellen.
»Meine Heimstatt liegt am anderen Ende«, erklärte Utian. »Vielleicht ist es am besten, wenn ihr hier zurückbleibt. Denn wenn ihr einmal Aufmerksamkeit auf euch zieht, werden die anderen auf euch einreden. Es gibt sehr selten Besuch, und noch seltener von Fremden … außerdem würde wohl keiner Verständnis aufbringen für das, was wir planen.«
»Du bist doch auch auf unseren Vorschlag eingegangen«, sagte Björn.
»Obaru ist mein Bruder«, stellte ihr Freund klar. »Muss ich für ihn nicht alles tun, auch wenn es jeder Vernunft widerspricht?«
Björn nickte nur.
»Wartet hier«, wies Utian sie an. »Ich bin schnell zurück. In der Zwischenzeit wird wohl niemand euch entdecken. Wenn wir Obaru tatsächlich befreien, werdet ihr wie Helden empfangen werden.«
Darauf wiederum legte Björn keinen großen Wert.
Als Utian sie verließ, starrte Anna ihm kopfschüttelnd hinterher. »Ich fasse es nicht«, murmelte sie. »Was ist nur los, Björn? Wir halten uns in einer fremden Welt auf, lernen Wesen kennen, die
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