Macabros Neu 01 - Der Leichenorden von Itaron
dieser Welt dachten anders. Hier gab es keinen Beginn und kein Ende … Nichts änderte sich. Dies war die Welt des Augenblicks, in der förmlich die Zeit geronnen war … Deshalb waren die Verhältnisse auch noch genauso wie vor Molochos’ und Rha-Ta-N’mys Tod. Der seltsame Zeitwall, den Björn durchquert hatte, isolierte Itaron offenbar von allen anderen Dimensionen und hielt jenen verhängnisvollen Augenblick der Vergangenheit aufrecht.
»Nenn mir deinen Namen«, forderte Hellmark.
»Utian.«
»Ich will dir beweisen, Utian, dass ich es gut mit dir meine«, sagte Hellmark. »Du hast erwähnt, dass sich dein Bruder in der Gefangenschaft des Leichenordens befindet. Wenn er noch lebt …«
»Ich kann fühlen, dass er lebt!« Utian senkte den Blick und schloss gleichzeitig die Augen. Er ließ die Schultern noch weiter hängen als zuvor. Björn begriff, dass er sich offenbar auf etwas konzentrierte. »Ja, ich fühle ihn. Er ist am Leben.«
»Wir werden dir helfen«, entschied Björn. »Wir werden deinen Bruder befreien.«
Utian sackte in sich zusammen, schien im Boden versinken zu wollen. »Das ist unmöglich!«
»Wie lange ist er schon gefangen?«
»Seit einer Schlafperiode.«
Mit diesem Begriff konnte Björn nichts anfangen. Damit konnte ein Tag gemeint sein oder ein ganzer Monat. Wenn es hier auf Itaron überhaupt Tage gab. Die rote Sonne hing immer noch genau so über dem Horizont wie zu jenem Zeitpunkt, als Björn diese Welt betreten hatte. »Woher weißt du so genau, dass dein Bruder noch lebt?« Björn zweifelte insgeheim daran, dass zwischen Utian und seinem Bruder tatsächlich eine Art telepathischer Kontakt bestand. Und er wurde auch prompt bestätigt.
»Er wird erst nach der nächsten Periode geopfert, weil der Orden ein anderes, besseres Opfer gefunden hat.«
Anna gab einen erstickten Laut von sich. »Alexander Wirell«, ächzte sie. Sie hatte Björn von dem Mann erzählt, der kurz nach ihrer Ankunft auf Itaron von dem Knochenmann und seinem Geschöpf verschleppt worden war.
»Könnte auch dieses andere Opfer noch am Leben sein?«, fragte Hellmark erregt.
»Er stirbt in diesem Moment.«
Björn zog es schmerzhaft die Brust zusammen. »Woher weißt du das?«
»Ich fühle es«, antwortete Utian verwundert. »So wie jeder Kularide fühlt, wenn der Leichenorden ein neues Opfer findet. Wir sind mit unserer Welt verbunden und spüren, wenn etwas Bedeutendes geschieht.«
Dazu konnte Björn nichts sagen – er nahm es einfach als gegeben hin. »Warum habt ihr nichts unternommen, um deinen Bruder zu befreien?«
»Es ist unmöglich«, antwortete Utian stereotyp. »Es ist, wie es ist und seit jeher war. Veränderung ist nicht möglich.«
Langsam begann Björn die Denkweise und Mentalität dieses Volkes zu verstehen. Itaron war die Welt des Augenblicks … in einem momentanen Zustand gefangen. Veränderung war für die Kulariden – und wohl jedes andere Volk dieser Welt, falls es ein solches gab – ein unvorstellbares Konzept. Wenn jemand vom Leichenorden gefangen wurde, war dieser Jemand verloren. Die Vergangenheit bestimmte die Gegenwart, und die Gegenwart war genauso wie alle Zeit vorher.
Ein einziger Augenblick definierte alles in Itaron. Ein Augenblick, in dem die Dämonengöttin und ihr oberster Schwarzer Priester noch lebten. Ein Augenblick, in dem der Leichenorden über das Land Ita-Kularon herrschte …
Ein Augenblick aber auch, den Björn Hellmark aufsprengen musste, damit Veränderung in diese Dimension einzog – und auch hier zur Realität wurde, was überall sonst längst geschehen war: Rha-Ta-N’mys und Molochos’ Vernichtung.
Damit stand Björn vor einer wahrhaft titanischen Aufgabe. Es lag an ihm, den Lauf und die Gesetze einer ganzen Welt zu verändern. Ein Vorhaben, das so groß war, dass man daran nur scheitern konnte! Aber Björn würde es trotzdem versuchen und dabei den einzig möglichen Weg einschlagen – die Politik der kleinen Schritte. Er würde einen Schritt nach dem anderen gehen, und vielleicht war es am besten, mit dem anzufangen, was sich geradezu anbot.
Die erste kleine Veränderung, die er nach Itaron bringen würde, war diejenige, dass es eben nicht unmöglich sein musste, dem Leichenkult eines seiner Opfer zu entreißen. Schließlich hatte bisher nur niemand versucht, es zu verhindern.
Auch wenn Björn noch nicht wusste, wie er es tun konnte, so lag doch endlich ein kleines Etappenziel vor ihm. Außerdem hatte er einen Führer gefunden, der sich in dieser
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