MacAllister 6 Die schottische Wildkatze
Ihre Vergangenheit musste wirklich schrecklich sein, dass sie so auf Sicherheitsvorkehrungen versessen waren.
Plötzlich war von oben aus der Halle wütendes Gebrüll zu hören. Die steinernen Wände dämpften den Laut so, dass man nicht verstehen konnte, was genau geschrien wurde. Einzig der Unmut im Ton des Mannes war unverkennbar.
»Dein Bruder?«, fragte sie Lochlan.
»Das weiß ich nicht, aber ich schätze schon. Die Heiligen allein wissen, der Mann hatte immer schon eine Stimme, die meilenweit reichte.«
Cat begann schon zu glauben, dass ihre Mühen vergeblich waren, während das Brüllen oben ohne Pause weiterging. Sie konnte sich nur vage vorstellen, wie schwer es für Lochlan sein musste, so weit gekommen zu sein, nur um so knapp vor dem Ziel abgewiesen zu werden.
Immer noch dauerte das Wüten an.
Lochlan sah ihr kurz in die Augen, dann holte er tief Luft und ging einfach die Treppe hoch.
»Lochlan«, rief sie, aber er blieb nicht stehen.
Daraufhin raffte auch Catarina ihren Rock und folgte ihm. Er schritt entschlossen zu dem saalartigen Raum; seine ganze Haltung verriet, dass er nicht gehen würde, ohne gehört worden zu sein.
Als sie näher kamen, wurden auch die Worte verständlich.
»Du kannst ihn nicht einfach wieder wegschicken«, schrie Kestrel. »Nicht nach dem, was sie riskiert haben, um herzukommen.«
»Als ob ich mich einen Dreck darum scherte, was er riskiert. Er war nicht bei uns in den Eingeweiden der Hölle; er war in den Highlands, hat sorglos mit Frauen geschlafen und sich amüsiert, während wir gefoltert und gequält wurden. Soll ihn der Teufel holen. Dann kann er bis in alle Ewigkeit in der Hölle schmoren.«
Cat hätte gedacht, dass das Lochlan zur Besinnung bringen würde. Stattdessen schien es ihn nur zu bestärken, als er die Tür erreichte und aufstieß.
Alle Geräusche erstarben in dem Nachhall des Kraches, mit dem das Holz gegen die Wand prallte.
Catarina blieb wie erstarrt stehen, als sie das Gesicht erblickte ... oder das, was davon bei Lochlans Bruder übrig war. Sie musste sich sehr beherrschen, nicht zusammenzuzucken. Die eigentliche Tragödie dabei war, dass die eine Gesichtshälfte noch makellos vollkommen war und der Welt verkündete, wie schön dieser Mann einmal gewesen war.
Die andere Hälfte war entsetzlich entstellt von Brandnarben; das Auge, das zweifellos blind war, war unter einer schwarzen Lederklappe verborgen. Bei seinem Anblick wurde ihr flau im Magen. Wie musste er gelitten haben.
Lochlan blieb stehen, als er in das vertraute Antlitz eines Fremden schaute. Sein Herz klopfte schneller, als er dem Blick des kristallblauen Auges begegnete. Ein Auge in genau der Farbe wie die seines Vaters... und Kierans. Tatsächlich konnte er vieles von Kieran in den Zügen des anderen ausmachen, die unversehrt waren, aber trotzdem ...
Die Wahrheit traf ihn mit der Wucht einer Eisenfaust. »Du bist nicht mein Bruder.«
Der Schotte stieß einen wilden Schrei wie ein verwundetes Tier aus, dass sich Lochlan die Nackenhaare aufstellten. Der andere warf den Tisch vor sich um und zog sein Schwert, er stürzte sich auf Lochlan.
Lochlan hatte kaum Zeit, sein eigenes zu ziehen und den Hieb abzuwehren, der ihm anderenfalls den Kopf abgetrennt hätte.
»Bastard!«, stieß der Schotte verächtlich aus, trat ihn, sodass Lochlan ein paar Schritte rückwärtstaumelte. Dann folgte er ihm, aber ehe er noch einmal ausholen konnte, stellte Kestrel sich ihm in den Weg.
Der Schotte spuckte vor Lochlan aus, dann warf er mit seinem Schwert nach ihm.
Lochlan fing es mit einer Hand auf und hielt es mit der Spitze nach unten.
Dennoch ruhten die Augen des anderen weiter anklagend auf ihm. Das Gefühl, verraten zu sein, stand darin ... und anderes, das Lochlan höchstens erraten konnte. »Ich bin genauso MacAllister wie du.«
Lochlan zuckte zusammen, als ihm klar wurde, dass der Mann vor ihm einer der vielen unehelichen Söhne seines Vaters sein musste. »Dann habe ich mich geirrt, und du bist mein Bruder. Dafür bin ich dankbar; bitte verzeih mir, dass ich mich ungeschickt ausgedrückt habe. Du bist nicht der Bruder, bei dem ich mich entschuldigen zu können hoffte.«
Das nahm dem anderen den Wind aus den Segeln. Der Schotte sank buchstäblich gegen Kestrel, aber es dauerte nur einen Moment, bis er sich wieder in der Gewalt hatte und ihn von sich schob.
Er wandte sich an Raziel. »Ich will, dass er aus meiner Burg verschwindet. Jetzt. Tot oder lebendig, das ist mir egal.«
»Aber
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