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Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Mach mal Feuer, Kleine - Roman

Titel: Mach mal Feuer, Kleine - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Smaus
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Schließlich warfen sie die Instrumente weg und sangen mit ihren heiseren Stimmen
: Čhajori romaňi, ker mange jagori, na cikňi na bari, čarav tro voďori
… Mein liebes, liebes Mädchen, ich bitt dich, mach mal Feuer   … Und dieses Lied öffnete ihre Herzen so sehr, es machte sie so traurig, dass sie wie kleine Kinder in Tränen ausbrachen und sich ihrer Schluchzer nicht mal schämten.
    Denn plötzlich schien alles überflüssig, die Instrumente, die Saiten, die Bögen, selbst die Worte waren leer und nutzlos, es gab nur noch die pechschwarze, heiße Nacht mit ihren Düften und den blinkenden Sternen ringsumher, nur noch die Traurigkeit und der Schmerz waren da, die einem den Verstand raubten   …
    Und keiner, der in der Morgendämmerung ihren Gesang |111| vernahm, konnte ihnen mehr böse sein, der musste sein verlorenes Lämmchen, den leer geräumten Hühnerstall oder die heimlich geernteten Kartoffeln vergessen, denn die heiseren Stimmen der Sänger hoben den Zuhörer zu den Sternen empor und führten ihn gleichzeitig zu sich selbst. Seit Anbeginn der Welt gehörten die Lämmer, die Kartoffeln, der Schnaps und die Tränen zusammen, all das hatte schon immer eine Einheit gebildet, und ein Leben ohne die Zigeuner, diese Schmiede, Brunnenbauer und Musiker, war nicht denkbar, in der Gegend von Zemplín sagte man sogar:
Dokym ci cigán nezavinšuje, nepridze do domu ščesce
, bevor nicht der Zigeuner dir Glück gewünscht hat, zieht es nicht in dein Haus   … Hin und wieder hatte der eine oder andere Bauer bei den Dunka-Kindern Pate gestanden, und wenn die Not ganz schlimm war und die kleinen Dunkas durchs Dorf zogen und um Essen bettelten, dann schlug ihnen niemand die Tür vor der Nase zu   … Aber dann, erzählte Juraj, dann wurde die Elektrizität eingeführt, die Leute schafften sich Radios, später auch Fernseher an, die Bauern stellten sich statt der Pferde Traktoren in den Stall, und auf einmal waren die Dunkas überflüssig, ihre Hände wurden nicht mehr gebraucht, und schon floss wieder Blut, aber kein heißes Blut aus heißen Herzen und Köpfen, nicht wegen flatternder Röcke, schiefer Blicke oder wegen eines schlecht gebrannten
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, nein, das war ein anderes Blut, ein Blut voller Hass und Groll, sagte Juraj und sein Gesicht verdüsterte sich, und es dauerte nicht lang, und er verzog sich ins Bienenhaus und erzählte den Bienen, dass es heute keinen Platz mehr auf Erden gebe, weder für Pferde noch für Zigeuner, ein ausgedientes Pferd, sagte er, bringt man zum Schlachter, auch wenn’s einem das Herz bricht, aber was soll man mit Menschen machen, die sich in der warmen Sommernacht ihr Hemd vom Leib reißen, sich |112| ins Gras fallen lassen und auf Sternschnuppen warten, was soll mit denen geschehen?
    Andrejko drehte die Geige hin und her und zuckte mit den Schultern. Was sollte er auf Jurajs Worte auch erwidern, da er noch nie etwas über das Gestern gehört hatte, da er nicht einmal wusste, wie man Geige spielt. In Prag wurde zwar musiziert und gesungen, aber die Erwachsenen tranken immer häufiger über den Durst und die Kinder fürchteten sich vor ihnen. Er, Andrejko, hatte ohnehin keine Zeit gehabt, er musste mit den anderen Jungen in der Straßenbahn
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drehen. Aber die Geige ließ ihm keine Ruhe, und noch am selben Abend versuchte er ihr ein paar kratzige Töne zu entlocken. Das verursachte sogar ihm Kopfschmerzen   … Zum Glück war Juraj halb taub und selten zu Hause, weil er tagsüber die Schafe hütete und abends die Nachbarn besuchte oder im Wirtshaus saß.
    Und von dort schleppte er ein paar Tage später auch den alten Demčak an   … Demčak hatte unter dem lahmen Lavička die zweite Geige gespielt, und er fing sofort an, von Lavička zu schwärmen, was für ein Musiker der gewesen sei, sein Talent hätte er Gott oder irgendeiner
stryga
zu verdanken gehabt, einer von beiden müsse es ihm in die Wiege gelegt haben. Zoltán Lavička zog das linke Bein nach, es war bei einer Kneipenschlägerei gebrochen worden, aber für einen Arzt hatte er weder Geld noch Zeit, denn hätte er aufgehört zu spielen, wäre er vor Kummer gestorben. Zu den Hochzeiten, Tanzabenden und Begräbnisfeiern wurde er also huckepack getragen   … Lavička spielte, als müsste er jeden Abend aufs Neue sterben, als hielte er die Geige zum letzten Mal im Leben in der Hand, und seine Fiedel schluchzte, dass es einem fast das Herz zerriss. Lavička aß nicht, er spielte nur und trank, später vergaß

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