Machen Sie sich frei Herr Doktor!
sehr humorvoll aus.
»Ich glaube nicht, daß Miss Clitworth viel Humor hatte, Vater.«
»Das war auch mein Eindruck —« Die Türglocke läutete stürmisch. »Großer Gott, Sir Lancelot kann doch nicht schon wieder zurück sein? Schau, wer da ist, Faith.«
Sie hörten, wie die Eingangstür aufgerissen wurde. Ein Schrei. Ein Stöhnen. Ein angstvolles »Um Himmels willen! Helft mir!« Einen Augenblick später stolperte ein großer, magerer, elegant gekleideter, jugendlich aussehender Mann herein; sein kupferfarbenes Haar war sorgfältig frisiert, in der rechten Hand trug er eine große Aktentasche, die linke hielt er an die Brust gepreßt. »Ich sterbe.«
»Auberon!« Josephine sprang auf. »Was ist geschehen?«
»Ich sterbe. Sterbe! Wo kann ich mich niedersetzen?«
Josephine bettete ihren Bruder liebevoll auf das Sofa, löste seine grüne Samtkrawatte und den Kragen seines kaffeebraunen Hemdes. »Faith, hol die Tasche mit den Erste-Hilfe-Medikamenten aus dem Büro deines Vaters. Auberon, mein armer Junge... hast du Schmerzen?«
»Schmerzen? Unvorstellbare.«
»Wo?«
»Überall. Ich fühle mich entsetzlich elend. Mein Gott, so plötzlich vom Schicksal niedergestreckt zu werden; jemand soll meinem Agenten telefonieren. Ich muß meinen literarischen Testamentsvollstrecker bestimmen.«
»Wir müssen Samantha in Guildford anrufen—«
»Nein, nein! Erschreckt nicht meine arme Frau. Außerdem bin ich wahrscheinlich schon tot, wenn sie hier ist. Die Züge sind abends schrecklich langsam.«
»Lionel!« Josephine, auf den Knien neben dem sterbenden Autor von »Bordelle des Geistes« liegend, sah auf. »Wie kannst du nur so dastehen, mit diesem gräßlichen Grinsen? Möchtest du nicht irgend etwas tun, um deinen Schwager zu retten?«
»Nein.« — »Wie kannst du nur so herzlos sein?«
»Weil ich, ohne meinen Sherry niederzustellen, diagnostizieren kann, daß ihm nicht das geringste fehlt.«
Auberon hob den Kopf. »Was bedeuten dann diese furchtbaren Schmerzen in der Herzgegend?«
»Winde. Als du die letzten Male im Sterben lagst, waren es ebenfalls Winde. Das Sterben wird bei dir offenbar zu einem chronischen Leiden.«
»Diesmal bin ich aber vielleicht wirklich in extremis«, erwiderte der Autor kläglich. »Dann wirst du der Blamierte sein.«
»Nun, wenn du mit meiner Diagnose nicht einverstanden bist, kann ich dich natürlich nach St. Swithin einweisen lassen - in die chirurgische Abteilung.«
»O nein!« Auberon Dougal sah erschrocken auf. »Du weißt, wie sehr ich mich vor einem Krankenhaus fürchte. Nur so auf dem Rücken zu liegen und zu warten, bis jemand einem etwas Unangenehmes antut. Furchtbar.« Er stützte sich auf einen Ellbogen. »Vielleicht geht es mir doch nicht ganz so schlecht.«
Faith kehrte aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters im ersten Stock zurück und brachte eine schwarze Tasche, in der ihr Vater ein paar Medikamente und Spritzen aufbewahrte. Der Dean schlürfte weiter seinen Sherry. Auberon ist jünger als ich, überlegte er. Man muß andere Maßstäbe anlegen. Trotzdem mochte er ihn nicht. Er wußte nicht genau, warum. Vielleicht, weil alle Engländer der Überzeugung sind, daß Schriftsteller unverbesserliche, jedoch beneidenswerte Nichtstuer sind.
»Wir müssen dich zu Bett bringen«, sagte Josephine zärtlich. »Ich weiß noch genug von meiner Ausbildung in St. Swithin, um dich gut zu pflegen.«
»Welches Bett?« erkundigte sich der Dean. »Oder beabsichtigst du, deinen Bruder zwischen uns zu legen, damit er uns mit seinen Todeszuckungen die Nachtruhe raubt?«
»Wir haben doch hinten ein kleines Zimmer, Lionel. Der Diwan ist zwar schmal, aber durchaus bequem.«
»Ich bin viel zu krank, um von meiner Umgebung Notiz zu nehmen«, hauchte Auberon.
»Mon Dieu«, murmelte der Dean. »Parbleu.«
Auberon bemerkte die Whiskyflasche. »Ich glaube, ein Drink wäre die beste Medizin für mich.«
»Faith, schütte etwas von Vaters Whisky in das Medizinglas aus seiner Tasche.«
Plötzlich bemerkte Auberon auch seine Nichte. »Nicht möglich. Ist das die kleine Faith? Du hast dich aber gut entwickelt.«
»Wir haben in der Schule viel Gymnastik betrieben, Onkel Auberon.«
»Lionel kann mit seinem neuen Rolls nach Guildford fahren und Samantha herbringen.«
»Hat wenig Sinn.« Auf dem Sofa liegend, leerte Auberon ein großes Glas Whisky und streckte den Arm nach einem zweiten aus. »Ich verließ sie.«
Der Dean begann Interesse zu zeigen.
»Du und Samantha, ihr scheint doch so gut
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