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Machos weinen nicht

Machos weinen nicht

Titel: Machos weinen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Hand. Er nahm einen Schluck und beugte sich zum Mikrofon.
    »Na, was ist? Fangen wir an?«
    Der Saal riss sich von seinen Biergläsern los und muhte zustimmend.
    »He, Langnase! Ja, du, du! Sei mir gegrüßt! Wie läuft‘s bei dir mit diesem Mädchen?«
    Alle sahen den Langnasigen an. Der Junge wurde verlegen und sagte, er könne sich an kein Mädchen erinnern.
    »An deine Freundin von gestern erinnert sich der ganze Club. Sie war derart fett, dass sie beim Hinausgehen die Seitenpfosten der Tür mitgenommen hat.«
    Es war eng und verraucht. Wie es in einem Saloon für echte Cowboys sein muss. Und es saßen auch nur echte Rancher aus Alabama ringsum. Einige hatten Schmalztollen von solchen Ausmaßen, dass sie drei Leute gleichzeitig anstießen, wenn sie den Kopf drehten. An der Backsteinmauer gegenüber dem Eingang war ein alter Ledersattel angenagelt. Alle zusammen passten wir nicht an einen Tisch. Die Kollegen verteilten sich über den Saal.
    »Seid ihr so weit? Nehmt zur Kenntnis: Ich fange an!«
    »Juhu!«, quietschten die Mädchen.
    Eine, die wirklich fantastisch aussah, saß auf einem hohen Hocker direkt vor mir. Der Hocker hatte endlos lange Beine. Das Mädchen auch. Das Bier trank sie aus der Flasche durch einen Strohhalm. Widerlich! Bier muss man mit weit offenem Mund trinken, den Kopf zurückgeworfen, und sich dabei ein bisschen auf die Brust kleckern. Ich sah auf mein Glas und begriff, warum ich so betrunken war.
    Das war kein Konzert. Das war eine Granate, die im Kopf jedes Zuhörers explodierte. Mit vorquellenden Augen, die Lippen an das Mikrofon gepresst, heulte und stöhnte Kirill, und ich wusste mit millimeterscharfer Genauigkeit, was er meinte. Es ging um mich. Um mich und solche wie mich. Das war ein Lied über mein Leben. Dieses Lied war mein Leben.
    Das Mädchen winkte mit ihren schönen, tätowierten Armen und kreischte gellend, wie in einem großen Konzert. Kirill grinste. Alle Mädchen im Club gehörten nur ihm. Schtschukin blitzte pausenlos mit seiner Kamera. Er wollte keinen Augenblick verpassen. Er war betrunken und fotografierte schlecht. Aber das war unwichtig. Man musste Kirill einfach fotografieren.
    Er trank sein Baltika aus, nahm sich das nächste, dann noch eins. Nach jedem Lied brüllte er: »Hoch die Gläser! Ex! Kein Schmu! Die hinteren Reihen! Ich kann nichts sehen!« Ihre T-Shirts begießend, kippten sich alle das Bier ins Gesicht und knallten ihre Gläser auf den Tisch. Bei einigen gingen die Gläser zu Bruch. Was machte das schon?
    An das Griffbrett des Kontrabassisten war eine große, rotblaue Fahne gebunden. Wir waren Soldaten, und dieser Bursche am Kontrabass mit dem großen Adamsapfel wusste, wohin er uns zu führen hatte. Das »Rumms-Rumms-Rumms« seiner Saiten schlug Nägel in meinen betrunkenen Kopf. Die Koreanerin schrie etwas. Ich verstand sie nicht, nickte aber und lachte. Kirill sang immer weiter. Enden konnte das niemals.
    Alle waren betrunken und paranoid, und die Gruppe war auch betrunken und völlig ausgeflippt. Unbekannte lächelten sich zu, stießen miteinander an und küssten sich sogar. Diese Musik war die beste auf der Welt. Welcher Schuft hätte gewagt, daran zu zweifeln? Was machte es, dass der Drummer ständig aus dem Takt kam und der Gitarrist sein Solo erst nach dem dritten Anlauf spielen konnte? Es gab eine Zeit, da kam auch der Schullehrer Gordon Sumner in seinen Edinburgher Bierkneipen regelmäßig aus dem Takt. Aber heute erinnert sich niemand mehr an seinen Namen. Alle nennen ihn einfach Sting. Dieser Name füllt ganze Stadien. Auch Kirill wird sie füllen! Er ist ja besser als Sting! So wie ich besser bin als Irvine Welsh! Alles wird super!
    Der Typ mir gegenüber sagte etwas, ohne sich an jemand Bestimmten zu wenden, und schüttelte den Kopf. Ich zerfloss vor seinen Augen. Sein Freund lächelte die Koreanerin an. In seinem Lächeln fehlten beide Vorderzähne. Egal! Es war klasse! Jemand versuchte zu tanzen. Die Tanzfläche war so klein wie die Toilette in meiner Petersburger Wohnung. Die Tänze fielen reichlich kubisch aus, oder vielleicht durfte ich einfach nichts mehr trinken? Morgen, ja, da werden die Tänzer die Augen zukneifen, wenn sie an ihre Knie denken. Jetzt ist noch nicht morgen! Alles ist wunderbar! Macht weiter, Jungs, macht weiter! Einer hielt die Begeisterung nicht aus und fiel hin. Alle lachten und klatschten in die Hände.
    »Sieh dir den Barkeeper an! Er ist ja ein Hippie! Ein alter Hippie!«
    »Was?«
    »Ich versteh

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