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Machos weinen nicht

Machos weinen nicht

Titel: Machos weinen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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sie gleich an zu weinen. Die Dostojewskaja hatte über irgendeine Wodkafabrik geschrieben, und die Leute aus dieser Fabrik schenkten der Dostojewskaja eine ganze Kiste »Unser Wodka«. Den größten Teil der Kiste hatten die durchnässten und durchfrorenen Kollegen schon ausgetrunken, aber vier Flaschen hatte man noch retten können.
    Jan fragte, ob sie nicht rausgehen sollten. Sie schlenderten die Fontanka entlang, gingen an der mexikanischen Kneipe »La Cucaracha« vorbei. Ohne auf den Regen zu achten, folgten sie dem Lauf des Wassers hinauf und hinunter. Bei Rot überquerten sie an der Anitschkow-Brücke den Newski-Prospekt. Nirgends gab es eine Stelle, wo man sich mit dem Wodka hätte hinsetzen können, und so landete die ganze Gesellschaft nach einer halben Stunde schließlich im »Metechi«. Später wurde ihm klar, dass es der gleiche Weg gewesen war wie bei seinem allerersten Besuch im »Metechi« vor zwei Jahren.
    Im »Metechi« ist es sowieso meist leer, aber jetzt regnete es auch noch. Sie setzten sich in eine Ecke, möglichst weit weg von der Barfrau. Die Flaschen stellten sie unter den Tisch. Leise maunzte das Radio, was für ein Sender es war, konnte er nicht sagen. Geld hatte er keins. Jan bestellte zwei Chartscho-Suppen für alle und vier Gläser Saft. Aus den Gläsern wollten sie ihren »Unser Wodka« trinken. Es war Montag, und eigentlich hatte er keine Lust zu trinken. Er hatte am Donnerstag getrunken – und am Freitag – und am Samstag – und gestern, am Sonntag – und an Sonntagen war er früher doch in die Kirche gegangen ... Sollte er sich wirklich heute auch noch betrinken? Warum eigentlich nicht ...
    An jenem Abend fühlte er sich ziemlich mies. Der ewige Kater, und dann hatte er auch noch Zahnschmerzen. Der Vierte oben rechts. Es zog bis zur Schläfe hinauf. Er nahm einen Schluck aus dem Glas, hielt den Wodka für einen Augenblick neben dem Zahn, in der Hoffnung, davon würde es besser. Geld, um zu einem guten Zahnarzt zu gehen, war nie übrig, und vor den kostenlosen Polikliniken hatte er Angst. »Ich bin noch keine dreißig, aber ich löse mich schon in meine Einzelteile auf. Werde kahl, dick, hinfällig, fühle mich wie ein alter Mann ...«
    Sie unterhielten sich darüber, dass bald Winter sein würde, aber noch keiner von ihnen dazu gekommen war, sich warme Sachen zu besorgen. Er sagte, dass er bald in Moskau dicke Honorare bekommen und das Geld sicher reichen würde, um sich eine warme amerikanische Pilotenjacke mit Pelzkragen zu kaufen. Natürlich war das gelogen. In jenem Herbst log er ständig.
    Manchmal warteten sie auf jemanden, der sich verspätete, und wenn das Mädchen dann fragte, wie viel Uhr es sei, sagte er immer zehn Minuten früher, als es tatsächlich war. Er fühlte sich schuldig, weil sie schon so lange warteten. Haben Sie bemerkt, was für gehetzte Gesichter Leute haben, die ständig trinken? Er krümmte sich schuldbewusst zusammen, wenn sie in eine Pfütze trat und ihre Stiefel nass wurden, er war bereit, sich dafür zu entschuldigen, dass die Metro überfüllt war und sie von Frauen mit Einkaufstaschen auf Rädern gestoßen wurde.
    In der Luft stand das gemütliche Rauschen des Regens. Im »Metechi« war es warm. Es brannte schummriges Licht, es roch nach billiger Pizza. Die eintretenden Gäste schüttelten ihre Schirme aus und lächelten unwillkürlich. Ihm gefiel es hier, auch Jan gefiel es, auch Jans Dostojewskaja gefiel es – aber ihr – nicht mehr. In ihrem Innern strömte ein mächtiger Fluss, und diesen Fluss konnte er nicht durchwaten. Den ganzen Abend waren die Winkel ihres schönen Mundes in einem stillen und weisen Mona-Lisa-Lächeln gehoben. Vom Lawasch nahm sie kaum einen Bissen und warf es auf den Tisch. Sie wollte hier einfach nur sitzen und den Regen abwarten. Was ging sie dieses ewige Gezappel der anderen in immer derselben Pfütze an?
    Sie beugte sich zu ihm, um sich eine Zigarette anzuzünden – und er war wie die Kegel am Ende einer Kegelbahn, und sie die auf ihn zu rollende Kugel. Seine Nasenwurzel war taub, und über seinen Nacken liefen Hunderte kleiner Insekten. Beim Wodka kommt der Rausch nicht sofort, wie beim Bier, sondern allmählich. Bei Bier können Sie kurz davor sein, mit dem Gesicht in den Salat zu fallen, und schon eine halbe Stunde später nüchterner als alle anderen am Tisch, Hauptsache, Sie rauchen in dieser halben Stunde nicht. Ein Mensch, der Wodka trinkt, ist leicht zu verstehen. Sie steigen immer höher, immer näher

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