Mach's falsch, und du machst es richtig
es mit dem hilflosen Starren auf die beiden unversöhnlichen Elternteile, die nie mehr an einem Ort vereint sein werden, ebenso vorbei wie mit dem Gefühl, sich entweder für den einen oder anderen entscheiden zu müssen. Vielmehr werden sie sich in ein freundliches Hin und Her zwischen den beiden Polen hineinfinden. Na gut, vielleicht in kein freundliches, sondern bloß pragmatisches, aber wir können leider nicht alles haben im Leben. Eine Haltung, an der wir uns ein Beispiel nehmen sollten.
Wer über komplexe Dinge nachzudenken versucht, verstößt gegen die Tendenz des eigenen Gehirns, die Dinge zu vereinfachen. Kein Wunder, daß wir uns dabei manchmal ein wenig benommen fühlen.
So versöhnlich der vorhergehende Absatz auch ausgeklungen sein mag – dieses ständige Hin und Her, dieses Sowohl-Als-auch, diese Unvereinbarkeiten eignen sich bestens dazu, uns schwindlig zu machen oder wütend. Wahrscheinlich beides zugleich. Und das aus einem leicht nachvollziehbaren Grund. Denn wie ich im Kapitel «Einfache Regeln» gezeigt habe, gibt sich unser Gehirn große Mühe damit, die komplexe Welt auf simple Annahmen und Regeln zu reduzieren. Es gibt gute Gründe, unserem Gehirn dafür dankbar zu sein (der Tiger, Sie wissen schon!). Aber es gibt auch gute Gründe, über unseren Hang zur Vereinfachung den Kopf zu schütteln. Und zwar nicht nur aus den bereits zitierten Gründen (der Kaffeeautomat, Sie wissen schon!). Sondern weil wir bei dem Versuch, die Komplexität unserer Verhältnisse zu verstehen, gegen Widerstände ankämpfen müssen, die durch die Funktionsweise des eigenen Gehirns verursacht werden. Mit unserem auf Vereinfachung gepolten Gehirn Komplexes dauerhaft erfassen zu wollen, gleicht dem Versuch, mit angezogener Handbremse über die Autobahn zu cruisen. So kommt es, daß wir zwar durchaus in der Lage sind, etwa die Kreisförmigkeit unserer Verhaltensfolge zu verstehen (Watzlawick, Sie wissen schon!), sie aber im Alltag wieder vergessen. Ein wenig erinnert die Eigendynamik unseres Gehirns an einen Satz, den der Schriftsteller Friedrich Torberg in seinen Erinnerungen an die Wiener Zwischenkriegszeit zitiert hat. [157] Der Satz stammt von einem Rechtsanwalt namens Hugo Sperber, der angesichts eines Mandanten, der sich vor Gericht selbst und ohne Not immer mehr belastet, ausruft: «Herr Vorsitzender – mein Klient verblödet mir unter der Hand!» Nicht ganz so radikal, aber tendenziell ähnlich verhält sich unser Gehirn bei dem Versuch, die Komplexitäten des eigenen Lebens dauerhaft zu verstehen. Kaum erfaßt, beginnt die Einsicht wieder zu verblassen – bis wir wieder bei den Ratgebern mit «So werden Sie in zehn Minuten erfolgreich»-Tips landen. Nicht für immer, aber zwischendurch.
Letztlich freilich spiegelt unser Pendeln zwischen Vereinfachung und Einsicht in die eigene Komplexität genau jene Kreisbewegung wider. So oszillieren wir zwischen den Allerweltsweisheiten einfacher Lebensratgeber und der ungemütlich komplizierten Idee sich selbst organisierender Systeme. So wird auch verständlich, warum mein Versuch, das Funktionieren unserer Weltaneignungsstrategien (bzw. die Strategien der Welt, sich uns anzueignen) nachzuerzählen, kein Ende finden kann – und damit auch dieser Text und dieses Buch nicht. Um dann doch eines zu finden. Weil Bücher eben auch beides sind: einerseits endlos (weil sie nie zu Ende gedacht sind und in den Köpfen ihrer Leser weiterleben). Andererseits exakt 329 Seiten lang (weil eben alles ein Ende haben muß).
Paradoxe Aufforderungen können unsere Beziehungen beschädigen – aber auch dabei helfen, sie zu verändern. Hier ein paar Hinweise, wie letzteres gelingen kann.
Nicht nur unsere Gefühle, auch paradoxe Aufforderungen haben einen ambivalenten Charakter: Wir können mit ihrer Hilfe unsere Beziehungen beschädigen, sie andererseits aber auch verbessern. Um sie anwenden zu können, sollten wir uns deren Mechanik noch einmal genauer ansehen.
Versuchen Sie, wach zu bleiben, wenn Sie einschlafen wollen: Sie erinnern sich? Das Vorwort zu diesem Buch? Die Geschichte, daß ich nicht einschlafen konnte und es dann um so leichter schaffte, je mehr ich mich darum bemühte, wach zu bleiben? Fein. Jetzt ist der Moment, in dem ich versuchen werde, zu erklären, warum dieser eigenartige Ratschlag zum erwünschten Ergebnis führen kann. Klassischerweise gehen wir von der Vorstellung aus, es gebe nur
einen
Weg, unsere Schlaflosigkeit zu bekämpfen: indem wir direkt gegen
Weitere Kostenlose Bücher