Mach's falsch, und du machst es richtig
sie vorgehen. Indem wir autogenes Training betreiben, Yoga machen, uns ins Beruhigungsbad legen, mentale Traumreisen unternehmen, Schäfchen zählen, Honigmilch trinken, Pillen schlucken. Viele dieser Mittel haben ihre Berechtigung und mögen auch wirken, vor allem, wenn es sich um Substanzen wie Schlaftabletten handelt. Es gibt aber Momente, in denen wir gut damit beraten sind, eine paradoxe Strategie anzuwenden. Vor allem, wenn sicher ist, daß unsere Schlaflosigkeit keine körperlichen Ursachen hat, sondern ein Problem unseres Kopfes und unserer Seele ist – und wir uns bereits vor dem Moment fürchten, ins Bett zu gehen, weil wir uns schon so oft schlaflos darin gewälzt haben. Dann führt kein Weg mehr daran vorbei, der Schlaflosigkeit jene autonome Rolle streitig zu machen, die sie in unserem Leben zu spielen begonnen hat: indem wir sie bewußt und vorsätzlich
herbeizitieren
. Uns also vornehmen, auf jeden Fall wach zu bleiben und keinesfalls einzuschlafen. Das klingt ein wenig eigenartig, ich weiß. Und doch liegt darin ein überaus mächtiges Mittel, nicht nur unsere Schlaflosigkeit in den Griff zu bekommen, sondern auch noch ein paar weitere Ängste (vor öffentlichen Auftritten, vor der Zukunft, vor ungewolltem Stottern etc.) und chronische Schmerzen, wie ich in der Einleitung dieses Buchs gezeigt habe.
Zum Wesen unserer Schlaflosigkeit gehört ja deren unkontrollierbares Auftreten, wie müde wir auch sein mögen. Auch wenn wir sie erwarten sollten – sie kommt, wann sie will, sie geht, wann sie will, sie dehnt sich aus, wie sie will, ohne daß wir darauf Einfluß hätten. Indem wir die Schlaflosigkeit aber vorsätzlich herbeiführen, weil wir aus eigenem Willen wach bleiben, berauben wir sie ihres zentralen Wesensmerkmals, das sie so mächtig macht: ihrer Spontaneität und ihrer Unberechenbarkeit. Wir unterwerfen sie vielmehr unserem Willen. Und eine willentlich herbeigeführte Schlaflosigkeit ist eine
ganz andere
Schlaflosigkeit als eine, die wir schlotternd im Bett liegend erwarten.
In der Psychotherapie ist diese Strategie unter dem Begriff «Symptomverschreibung» bekanntgeworden; der Wiener Psychiater Viktor Frankl zum Beispiel hat sie gerne und effektiv eingesetzt, vor allem zur Behandlung sozialer Ängste. Dabei hat er die Menschen aufgefordert, exakt das zu tun, was sie bisher um jeden Preis zu verhindern versucht haben. So verlangte er von ihnen, unbedingt feuchte Hände zu bekommen, vorsätzlich zu stottern oder sich besonders heftig vor einem öffentlichen Auftritt zu ängstigen. Das heißt: In dem Augenblick, da wir dem Symptom seine Eigenständigkeit nehmen, fliegt das ganze System auseinander, das sich rund um unser Problem gebildet hat, und wir bekommen eine neue, selbstbewußte Rolle darin zugewiesen bzw. nehmen sie uns ganz einfach.
Doch damit nicht genug: Haben wir erst einmal die Erfahrung gemacht, daß wir unserer Schlaflosigkeit nicht nur ausgeliefert sind, sondern auch leichter einschlafen, wenn wir sie absichtsvoll herbeirufen, verwandelt sie sich in etwas Wohlgesonnenes. Daher schreiben Gerald R. Weeks und Luciano L’Abate [158] : «Die paradoxe Psychotherapie betrachtet das Symptom als Freund, und in dieser Rolle kann man es umarmen und mit ihm zusammenarbeiten. Statt vor ihm zu fliehen, tut man sich mit ihm zusammen und lernt von ihm auf die gleiche Weise, wie man aus dem Gespräch mit einem Freund lernt.» Das klingt in den Ohren vieler sicher ein wenig esoterisch (obwohl es so nicht gemeint ist). Watzlawick hat daher auch immer wieder andere Wege gewählt, seine Idee der «paradoxen Intervention» (wie diese Form der Intervention in der Fachliteratur genannt wird) plausibel zu machen. So hat er aufgehört,
darüber
zu schreiben, und die paradoxe Intervention
direkt angewandt
. Eine dieser Anwendungen ist in Buchform erschienen, heißt «Anleitung zum Unglücklichsein» und gehört mittlerweile zum Kanon entspannter Lebensratgeber. In diesem schmalen Band tut Watzlawick nichts anderes, als uns die eigenen Symptome zu verschreiben. So sagt er uns, die wir stets das eigene Unglück beklagen, folgendes: «Es ist höchste Zeit, mit dem jahrtausendealten Ammenmärchen aufzuräumen, wonach Glück, Glücklichkeit und Glücklichsein erstrebenswerte Lebensziele sind.» [159] Vielmehr sollten wir endlich akzeptieren: «Was oder wo wären wir ohne unsere Unglücklichkeit? Wir haben sie
bitter
nötig; im wahrsten Sinne dieses Wortes.» [160] Um uns dann minutiös zu erklären, wie
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