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Macht: Thriller (German Edition)

Macht: Thriller (German Edition)

Titel: Macht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David G.L. Weiss
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über die Lippen. Ernstel, das Sturmgewehr umgehängt, riss den Mund auf und zu und pflügte durch Schreie und Rauchschwaden auf die Pieta zu.
    Gernot öffnete die Augen und fuhr hoch. Er strich mit der Hand über die Narbe an seiner Schulter. Die Haut war eiskalt. Er massierte sich den Nacken, zog das Hemd von der Rückenlehne des Lederfauteuils und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Er warf sich das Hemd um den Hals und stand vom Teppich auf. Er war nicht zwischen Alpha- und Bravo-Linie auf den Golanhöhen, er war in Wien, in seinem Wohnzimmer. Im Badezimmer plätscherte die Dusche.
    Szombathy ging in die Küche, stellte eine Tasse Kaffee in die Mikrowelle und zündete sich eine Smart an.
    Josephine lehnte sich mit beiden Händen gegen die Fliesen. Das heiße Wasser prasselte zwischen ihre Schulterblätter. Kurz hatte sie geglaubt, Gernot hätte »Ahmed!« geschrien. Aber das hatte sie sich wohl nur eingebildet. Warum sollte er das tun? Josephine hielt das Gesicht in den Brausestrahl. Langsam wurde sie wieder sie selbst, spürte endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Sie drehte das Wasser ab, stieg aus der Dusche und frottierte sich den Kopf.
    Gernot blieb vor der Badezimmertür stehen und legte die Hand auf die Schnalle. Das Plätschern hatte aufgehört. Er nahm die Zigarette aus dem Mund und drückte die Klinke nach unten.
    Ein Luftzug strich um Josephines Beine. Sie presste sich das Badetuch vor den Busen und blickte zur Tür. »Ich bin noch nicht fertig. Ein bisschen Geduld noch.«
    Gernot öffnete den Toilettendeckel. Die Smart segelte in die Muschel und zischte. Der Rauchfaden verlor sich im Badezimmerdampf. Gernots Blick wanderte über das Tattoo auf Josephines Rücken, über den Schlangenleib und die Pranken des Lòng . Der chinesische Drache wand sich von ihrem Schulterblatt bis hinunter zur Hüfte.
    Josephine beobachtete Gernots Gesicht. Er sagte nichts, stand nur da und betrachtete sie. Seine Narbe reichte vom Schultermuskel bis zum Ellenbogen. Josephine biss sich auf die Unterlippe. Sie beide verheimlichten ein Körperornament vor den Blicken der Mitmenschen. Josephine neigte den Kopf zur Seite. Sie entdeckte einen Ausdruck in Gernots Blick, den sie niemals zuvor wahrgenommen hatte. »Was ist? – Gefällt dir, was du siehst?« Das Badetuch glitt zu Boden.
    Gernot zog Josephine an sich und presste seinen Mund auf ihre Lippen.
    Josephine schlang die Arme um Gernots Oberkörper und ließ sich einfach fallen.

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    U lrike Moosbrugger überflog die Endnoten des Artikels, speicherte die Arbeit der letzten zwei Stunden und verfolgte das Wachsen des Balkens in der Fensterleiste. Bei »100%« nahm sie die Brille ab und rubbelte sich die Augen. In den anderen Büros der Abteilung für Archiv und Wissenschaftsgeschichte im Dachgeschoss des Naturhistorischen Museums war es still geworden. Nur an Moosbruggers Arbeitsplatz brannte noch Licht. Moosbrugger gähnte und hob den Tee an ihren Mund. Das Häferl war kalt und leer. Dem eingetrockneten Bodensatz nach zu urteilen, schon ziemlich lang. Sie seufzte und trabte in die Küche.
    Moosbrugger setzte sich an den Küchentisch, schloss die Augen und lauschte auf das Brodeln im Wasserkocher. Hände und Füße wurden bleischwer, der Kopf kippte in den Nacken. Moosbrugger stürzte in bodenlose Tiefe und schreckte hoch. Was war das? Hatte sie das Geräusch geträumt, oder hatte es nebenan gekracht? Sie lauschte, aber hörte bloß das Summen des Verkehrs auf der Ringstraße. Sie gähnte und goss den Teebeutel auf. Türkischer Apfel , süß und heiß. Moosbrugger knipste das Licht aus und machte sich auf den Weg zurück an den Schreibtisch. Sie musste das Dokument noch versenden, dann war für heute Feierabend, und sie durfte endlich ins Bett.
    Moosbrugger öffnete die Tür. Eine kühle Brise wehte ihr entgegen. Eines der Fenster stand offen. Plakate, Wandkarten und Papiere raschelten im Wind. Wissenschaftlerbüsten aus dem neunzehnten Jahrhundert grimmten von den Büromöbeln herunter. Moosbrugger blieb wie angewurzelt stehen und fuhr sich über die Stirn. Hatte sie beim Lüften übersehen, den Riegel wieder zu schließen? Sie platzierte das Häferl auf den Grafiktisch, trat ans Fenster, stellte sich auf die Zehenspitzen und überschaute das Blechdach und die Silhouetten der Steinfiguren auf der Balustrade vor der Dachtraufe. Nichts. Glitzernde Wasserpfützen auf Grünspan. Sie schüttelte den Kopf und verriegelte das Fenster. Moosbrugger spitzte die Ohren.

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