Machtkampf
klopfte mit dem Zeigefinger auf den Artikel, »… das hier überlebt er nicht. Darauf kannst du Gift nehmen.«
Kugler zitterte. Er hatte die restliche Nacht kein Auge zugetan und jeden Schlag der benachbarten Kirchturmuhr wie einen Countdown empfunden, der ihn dem schrecklichen Morgen unaufhaltsam näher brachte. Gegen sechs war er schweißnass aufgestanden, um die Zeitung aus dem Briefkasten zu holen. Franziska knipste das Licht an, als er schweigend vom Flur zurückkam und die Zeitung bereits auseinanderfaltete. Sein Blick fiel im matten Schein der Nachttischlampe auf die Schlagzeile des Lokalteils. »Sie haben’s getan!«, entfuhr es ihm, während er auf das Bett sank und auch die Lampe auf seiner Seite anschaltete.
Franziska erhob sich und versuchte, ihn an der Schulter festzuhalten. »Bitte, Dieter, reg dich jetzt nicht auf. Das war zu erwarten gewesen.«
Er hörte ihre Stimme, als sei sie weit entfernt. Jedes einzelne Wort, das er hastig überflog, war wie ein tiefer Stich in seine Seele. Er hatte das Gefühl, in diesem Augenblick zu sterben.
Seine Frau spürte, wie sein Körper bebte. Sie legte einen Arm um seine Schulter und konnte nun auch den Artikel sehen, jedoch aus dieser Distanz nur Überschrift und Unterzeile lesen. Sie ließ eine halbe Ewigkeit verstreichen, ehe sie ihrem Mann einen Kuss auf die Wange drückte. »Warum sollte etwas schlimmer werden, bloß weil die Zeitung drüber schreibt?«
Er hatte den Artikel gelesen. »Dieser Neth ist wahnsinnig«, flüsterte Kugler. »Er spekuliert und fabuliert da rum – ohne jegliche Grundlage. Das ist eine unglaubliche Frechheit. Alles nur wegen eines anonymen Pamphlets, das angeblich an dieses Ulmer radio7 geschickt worden ist.« Und plötzlich wurde ihm bewusst: »Die werden auch im Radio drüber berichtet haben.«
Franziska überflog den Text und zitierte aus dem Artikel: »›Die Staatsanwaltschaft Ulm hält sich bedeckt und will zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Angaben machen.‹« Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Allein schon diese Formulierung suggeriert dem Leser, dass was dran sein muss.«
»Eben«, empörte sich Kugler. »So funktioniert heutzutage der Journalismus. Irgendetwas aufblasen und dann aber so tun, als wolle man alles ganz sachlich darstellen, weil doch schließlich noch gar nichts bewiesen sei. Aber zum Rufmord reicht es allemal.« Er kämpfte mit dem aufsteigenden Zorn. »Und lies mal am Schluss – hier …«
Franziska las laut: »In Rimmelbach dürfte sich somit erneute Unruhe breitmachen. Denn inwieweit die versuchte Brandstiftung im Hochsträßhof und möglicherweise auch der Selbstmord des weithin bekannten Viehhändlers in Zusammenhang mit diesen Vorwürfen stehen, beschäftigt jetzt vermutlich auch die Kriminalpolizei. Der beschuldigte Pfarrer bestreitet die Vorwürfe und war gestern zu keiner Stellungnahme bereit.«
»So ein Schwachsinn«, polterte Kugler, um sich Augenblicke später sofort wieder seiner Machtlosigkeit bewusst zu werden. »Was heißt da ›zu keiner Stellungnahme bereit‹? Warum soll ich eine Stellungnahme zu etwas abgeben, das gar nicht stattgefunden hat?«
Franziska strich ihm zärtlich übers dünne Haar. »Wir stehen das durch, Dieter.«
Sein Zittern hatte sich verstärkt und seine Stimme wirkte plötzlich seltsam schwach: »Die Frage ist doch nur, ob ich das überhaupt durchstehen will.«
»Schauen Sie sich das an.« Linkohr hatte den Artikel über Rimmelbach bereits in der Tageszeitung gelesen, als Häberle in der Geislinger Dienststelle eintraf. Sie waren gestern übereingekommen, den Fall während des Wochenendes nicht einfach ruhen zu lassen. Linkohr hatte freudig zugestimmt, nachdem sich auch Vanessa mit großem Engagement in den Fall hineinkniete. Nur Martin Wissmut wollte sich das Wochenende nicht auch noch um die Ohren schlagen. Er war nach wie vor davon überzeugt, dass die Anschuldigung gegen den Pfarrer nichts mit den anderen Vorgängen in Rimmelbach zu tun hatte. »Und bei diesem Kugler steht Aussage gegen Aussage«, stellte er erneut fest und fügte hinzu: »Die Kirchenoberen werden ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen.«
Häberle lächelte der jungen Polizeistudentin Vanessa zu, griff nach der aufgeschlagenen Zeitung und ließ sich auf den Schreibtischstuhl sinken. »Wieso hat das eigentlich nicht der Sander geschrieben?«, fragte er erstaunt, nachdem er die Autorenzeile gesehen hatte.
»Hab mich auch gewundert«, pflichtete ihm Linkohr bei und reichte die
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