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Machtlos

Machtlos

Titel: Machtlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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tat gut, sie zu sehen. Sie zu hören. Er lächelte und nahm einen Becher entgegen. Orangen, Nelken und Zimt. Kathy. Er nahm einen großen Schluck. Wärme durchströmte ihn, baute die Spannung ab und ließ ihn wieder freier atmen.
    * * *
    Marc träumte von Noors Mutter. Von arthritischen Fingern, die ungehalten auf eine Tischplatte klopften, einem verkniffenen Mund, dessen harter Zug auch die letzten Spuren morgenländischer Schönheit in ihrem Gesicht verwischte. Sie saß ihm gegenüber, und es war, als empfände sie seine alleinige Gegenwart schon als Affront. Er musste mit ihr über Valerie reden, aber als er versuchte zu sprechen, versagte seine Stimme. Nicht einmal ein heiseres Krächzen kam über seine Lippen. Dabei war das, was er zu sagen hatte, so wichtig …
    Die sonore Stimme des Radiosprechers riss ihn aus seinen Träumen. Atemlos lag er im Bett. Marc spürte noch immer den kalten Blick von Noors Mutter auf sich und seine Unfähigkeit, sich zu äußern. Intuitiv befeuchtete er seine Lippen und räusperte sich. Aus dem Radio kamen jetzt die ersten Klänge von George Michaels
Careless Whisper
. Die Beklemmung seines Traumes verblasste angesichts der Erinnerung, die diese Musik in sich trug. Den Geruch von Oleander, das leise Rauschen des Meeres und Valeries warmer Körper an seinem. Die müde Zufriedenheit, die sie beide erfüllt hatte, und ebendiese Musik, die nachklang von einer langen durchtanzten Nacht …
I’m never gonna dance again, the way I danced with you …
Marc lag in der Dunkelheit und lauschte reglos, hin- und hergerissen zwischen der Süße der Erinnerung und dem Bewusstsein der Gegenwart, bis der Kloß in seinem Hals das Schlucken schwer machte. In der Dunkelheit tastete er nach dem Radio und schaltete es aus. Die einsetzende Stille war erdrückend.
    Es musste irgendwann so kommen, hörte er die dunkle Stimme von Noors Mutter. Und insbesondere das, was sie nicht sagte, hallte von den Wänden wider und erfüllte den Raum. Klassische Klischees über Ehe, Kinder und ein geregeltes Leben, die ihre Tochter vor so viel Unglück bewahrt hätten.
    Ihre Augen und ihre arthritischen Finger mit dem ungeduldigen Stakkato auf der Tischplatte sprachen davon und verfolgten Marc bis in seine Träume. Doch er hatte sehr schnell erkannt, dass all die unausgesprochene Wut nur ein Schutz vor dem Schmerz war, den sie auf diese Weise zu kompensieren versuchte, und der Angst, ihre Tochter nie wiederzusehen.
    Er hatte in den Gesichtern von Sabirah und Omar al-Almawi nach Noor gesucht. Hatte sie in den dunklen, wehmütigen Augen ihres Vaters gefunden, und in der herben Schönheit ihrer Mutter, in den hohen Wangenknochen und dem fein gezeichneten Kinn. Und er hatte erfahren, dass Noor seit zwei Wochen verschwunden war. Fort, wie vom Erdboden verschluckt. Und seine Angst um Valerie war gewachsen.
    Es musste irgendwann so kommen.
    Warum? Was hatte Noor getan, mit wem hatte sie sich eingelassen?
    Sie kannte Leute in Damaskus, hatte ihr Vater erklärt.
    Was für Leute?
    Ärzte vom Roten Halbmond, aber auch Geschäftsleute aus der Region. Besonders einen Mann, Syrer wie wir, aufgewachsen in den USA . Er hatte nicht weitergesprochen, hatte den Blick plötzlich gesenkt, als wäre es ihm peinlich, mit einem Fremden wie Marc über die persönlichen Angelegenheiten seiner Tochter zu sprechen. Aber das war es nicht, wie Marc dann erfuhr, denn als der alte Mann wieder aufsah, lag Verbitterung in seinen Zügen. Sie haben sie geködert, benutzt für ihre eigenen Zwecke, und dann … Er hatte eine Handbewegung gemacht, die jede weitere Erklärung erübrigte.
    Marc wusste, dass sich Noor in ihrer alten Heimat stark für die Gleichstellung der Frauen in der islamischen Gesellschaft engagiert hatte. Jede freie Minute, jeden Urlaub hatte sie dort verbracht und auf Vortragsreisen sowohl zu Frauen als auch zu Männern gesprochen. Bevor sie ihre eigene Praxis im vergangenen Jahr in Hamburg eröffnet hatte, hatte sie fast drei Jahre in den Flüchtlingslagern der Palästinenser im Auftrag des Roten Halbmondes gearbeitet. Valerie war mehr als einmal in den Nahen Osten geflogen, um sie dort zu besuchen, einmal sogar, um sie zusammen mit einer syrischen Anwältin aus einem Gefängnis in Jordanien zu holen. Dann, vor etwas mehr als einem Jahr, war Noor plötzlich nach Deutschland zurückgekehrt. Sie schien all ihre Kontakte in die Regionen des östlichen Mittelmeers abgebrochen zu haben.
    Sie gehen davon aus, dass Noor verhaftet worden

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