Machtlos
Kerstin. Sind sie tatsächlich Gefährten?“
„Noch nicht ganz“, gab Abrexar kurz angebunden zurück. „Aber sicher können Jaromir und Victoria etwas dazu sagen.“
Jaromir beeilte sich zu antworten: „Es stimmt, dass sich zwischen den Beiden eine Verbindung entwickelt. Seit vorgestern Abend sind Victoria und ich uns ziemlich sicher, dass sie die Offenbarungsphase bereits hinter sich gelassen haben.“
Victoria ergänzte: „Kerstin hat Lenir am Montag an der Uni orten können.“
Mandolan war die Überraschung ins Gesicht geschrieben. „Zwei Gefährtenpaare in so kurzer Zeit am selben Ort – hat es das überhaupt schon mal gegeben?“
Hoggi dachte kurz nach. „Ich kann mich nicht erinnern, von so etwas gehört oder gelesen zu haben. Gefährten waren auch vor den Torkriegen die Ausnahme. Und dort, wo sich ein Paar gefunden hatte, fand sich, soweit ich weiß, in den darauffolgenden Jahrzehnten kein zweites Paar mehr – fast, als müsste sich die Gegend erst regenerieren.“
Dann kam Hoggi plötzlich ein beunruhigender Gedanke. Er kratze sich gedankenverloren am Kopf und Victoria sah in seinem Geist viele weiße, schwarze, blaue, rote und grüne Drachen mit ihren menschlichen Gefährten auftauchen. „Hmmm…“ , dachte ihr Mentor, „zu der Zeit, als die Tore in die Weltenmembran gerissen wurden, hatte ich den Eindruck, dass es plötzlich mehr Gefährten gab. Merkwürdig. Ich sollte die alten Schriften studieren, ja, das sollte ich… muss mal mit Noran Kontakt aufnehmen…“
Victoria schluckte beklommen, als sie diese Bilder in Hoggis Kopf bemerkte.
Abrexar hatte den Weißen und auch Victoria genau beobachtet, sagte jedoch nichts. Stattdessen wollte er wissen: „Und wie geht es mit den beiden voran? Lenir hat sich ihr doch sicher schon nach dem Erwachen in seiner wahren Gestalt gezeigt.“
Victoria schüttelte den Kopf und sagte leise: „Nein, noch nicht. Er hatte es vor, aber Kerstin will nichts mehr von ihm wissen. Sie hat einen Schock, glaube ich. Sie lässt sich auch von mir nichts erklären. Sie will nur noch hier weg. Wir mussten sie ruhig stellen.“ Der Eisblock in ihrem Magen war inzwischen auf Fußballgröße gewachsen.
„Mist“, fluchte Abrexar leise, „das erschüttert ihr Vertrauen noch mehr. Für eine positive Offenbarung ist das absolut kontraproduktiv.“
„Und ich dachte immer, wenn die Gefährten einander erst mal begegnet sind, haben sie keine Wahl, was ihre Verbindung angeht“, bemerkte Narex verwundert.
Abrexars Augen hatten sich besorgt verengt. „Das ist so nicht richtig. Es stimmt zwar, dass die meisten Gefährten sich füreinander entscheiden, schließlich ist die Anziehungskraft sehr stark zwischen ihnen. Aber in der Offenbarungsphase können sie sich auch dagegen entscheiden. Danach wird es schwierig und nach Vollendung der Verbindung ist eine Trennung ohne Tod beider Gefährten unmöglich, oder Hoggi?“
Doch Hoggi war tief in Gedanken und hörte gar nicht richtig zu. „Was?“, fragte er irritiert, als sein Name fiel.
Abrexar wiederholte die Frage und nun schüttelte der alte Weiße seinen Kopf: „Nein, eine Wahl haben die beiden nicht mehr – jedenfalls nicht, ohne einen Schaden davonzutragen.“ Und nun erklärte er den anderen das, was er Victoria schon am Montag über die Offenbarungs- und die Bindungsphase erläutert hatte.
Dann bat Abrexar Victoria: „Würdest du uns bitte das Gespräch mit Lenir und auch das mit Kerstin zeigen? Ich muss mir ein Bild machen und es kann nicht schaden, wenn auch Hoggi, Narex und Mandolan Bescheid wissen.“
Victoria nickte ergeben, auch wenn es ihr fast wie Verrat an Kerstin vorkam, diese Erinnerungen preiszugeben.
Schließlich sah Abrexar besorgt in die Runde. „Das ist nicht gut. Gar nicht gut. Der Große Rat wird sicher in Kürze erfahren, was genau in Laboe passiert ist. Kerstin weiß schon zu viel, auch wenn sie das Warum noch nicht versteht. Sollte sie ihre Haltung in den nächsten Tagen nicht ändern, dann wette ich, dass Jalina darauf besteht, ihr Gedächtnis anzupassen. Sie wird es damit begründen, dass Kerstin für ein Leben als Gefährtin nicht bereit ist und wir ihr einen Gefallen tun, wenn wir die Erinnerungen an Laboe und eventuell sogar die an Lenir verändern.“
„Vielleicht wäre es das Beste für Kerstin, wenn sie Lenir vergisst“, bemerkte Victoria nachdenklich. „Sie will doch selbst ihr altes Leben zurück.“
„Das wird sie aber auch dann nicht bekommen!“, widersprach Hoggi
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