Machtlos
stehen sah, wurde ihr bewusst, wie sehr sie ihren Mentor mochte. Mandolan hatte sich in den letzten Tagen mit ihr auch viel Mühe gegeben. Er konnte ebenfalls gut erklären, aber er war steif und blieb immer irgendwie distanziert. Mit Hoggi fühlte sie sich verbunden. Sie hatte wirklich Glück, dass er sie als Schülerin angenommen hatte.
Victoria lächelte. „Guten Morgen, Hoggi.“
„Was?“, fragte der Weiße verwirrt, als er sich zu ihr umdrehte. Dann sah er sie und sein Blick klärte sich. „Äh, ja. Natürlich. Guten Morgen, Victoria. Ist es schon wieder soweit?“
„Ja, es ist schon neun, «Onkel» Hoggi“, antwortete sie augenzwinkernd und tippte auf ihre Armbanduhr.
Hoggi grinste verwegen und kommentierte stolz: „Ich war überzeugend als Jaromirs Onkel, oder?“
„Ja, du warst super!“, gab Victoria lachend zurück. „Meine Eltern mögen dich.“
Hoggi nickte und setzte seinen aristokratischen Blick auf.
Dann lachte er. „Das hat Spaß gemacht! Aber ich muss sagen, es fällt mir wirklich schwer, nur über Menschendinge zu sprechen. Wie es erst sein muss, keine Magie zu kennen? Oder schon nach nur hundert Jahren von dieser Erde zu gehen? Unfassbar! Ein paar Mal hätte ich Schussel mich fast verplappert, aber mein «Neffe» passt ja auf wie ein Schießhund!“
Er grinste breit.
Dann wurde sein Gesicht nachdenklich und er murmelte: „Das muss ich wirklich noch üben bis zum Hochzeitsfest. Nicht, dass ich an dem großen Tag etwas ausplaudere… Das wäre höchst unangemessen! Nicht auszudenken, dass gerade ich meine Schülerin kompromittiere…“ Hoggi redete weiter mit sich selbst.
„Wenn das schon Hoggi schwerfällt“ , dachte Victoria bei sich, „wie muss das erst den anderen Drachen gehen, die seit Jahrhunderten keinen Kontakt mit Menschen hatten? Um die Torwächter mache ich mir keine Sorgen, aber was ist mit den Weißen?“
„Das müssen wir mit Abrexar besprechen“ , meldete sich ihr Gefährte. „Ich habe da auch schon drüber nachgedacht. Die Blauen, Grünen und Roten dürften ähnliche Probleme wie Hoggi bekommen.“
Victoria seufzte und warf spitz ein: „Die Goldenen wollten dieses große Fest – sollen sie doch eine Lösung dafür finden.“
„Und unsere Gästeliste zusammenstreichen, weil das am einfachsten ist? Lieber nicht. Ich kümmere mich drum“ , versprach Jaromir.
Hoggi hatte sein Selbstgespräch beendet und wechselte das Thema. Er fragte betont beiläufig: „Ähhh, was hat eigentlich die Examination des Tores ergeben? Oder hatten Jaromir und Narex noch keine Zeit, sich darum zu kümmern? Nicht, dass das besonders wichtig wäre, aber…“
Victoria horchte auf. Das war sonst gar nicht seine Art. In Hoggis Kopf kreisten bedrückende Gedanken, die sie nicht verstand. „Doch“, antwortete sie nickend, „die beiden waren am Montag da. Die Untersuchung hat nichts ergeben. Allerdings meinte Narex, dass das Ergebnis nicht eindeutig sei. Irgendwie hat der Zauber wohl nicht so richtig geklappt. Er wollte das mit…“
„Er muss das wiederholen!“, unterbrach Hoggi sie. „Und er soll einen Torwächter mehr mitnehmen. Dann wird der Zauber auch klappen. Aber nun lass uns mit dem Unterricht beginnen.“
Victoria sah Hoggi verwundert an.
Der alte Drache versuchte krampfhaft, gelassen zu wirken, aber in seinem Geist sah sie uralte Aufzeichnungen und einen zweiten weißen Drachen, der besorgt seine Stirn furchte.
„Was hast du bei Noran herausgefunden?“, fragte sie ernst.
Hoggi wand sich. „Ach, wahrscheinlich hat das gar nichts zu sagen.“ Er wollte Victoria nicht mit seinem Wissen belasten.
„Hoggi, ich weiß, dass du dir Sorgen machst, seitdem du erfahren hast, dass Kerstin und Lenir auch Gefährten sind. Es hat was mit den Torkriegen und der Anzahl der Gefährten zu tun, habe ich recht? Darum warst du bei Noran, oder?“
Hoggi nickte langsam. „Es ist dir nicht entgangen, was? … Also gut. Mir schien, dass es plötzlich mehr Gefährten gab, während uns die Dämonen vor siebenhundert Jahren heimsuchten.“ Er schwieg wieder.
„Und?“, hakte Victoria nach. „Stimmt es?“
Ihr Mentor nickte widerwillig. „Norans Aufzeichnungen sind spärlich – schließlich war Krieg und wir hatten ganz andere Probleme. Aber seinem Mentor und auch Noran selbst ist das auch aufgefallen. So finden sich in seinen persönlichen Schriften mehrere Hinweise darauf, dass es während der Dämoneninvasion einen Anstieg der Zahl der Gefährtenpaare gab.“
Er seufzte.
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