MacTiger - Ein Highlander auf Samtpfoten
Schritt vor.
»Und, wie hat dir die Veranstaltung gestern gefallen?«
»Du hattest wie immer recht, Tante Henrietta. Es war sehr touristische Folklore.«
»Ich habe in solchen Dingen immer recht.«
»Gewiss. Aber zum Schluss kam ein alter Mann, der Balladen zur Harfe gesungen hat. Das war wirklich beeindruckend.«
Sie sah mich mit einem seltsamen Blick an.
»Balladen?«
»Ja, das ist doch nicht ungewöhnlich, glaube ich. Ich fand sie sehr schön und stimmungsvoll. Auch wenn es keine besonders ausgefeilten Reime waren. Eben Volksballaden.«
»Wer war der Sänger?«
»Oh, der scheint der hiesige Gärtner zu sein. Er heißt Arthur Dougal.«
Tante Henrietta verlangsamte ihren Schritt, und ich sah, wie ihre Hände sich zu Fäusten ballten. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Nein, ich musste mich getäuscht haben, sie antwortete völlig gelassen: »Ich hörte von ihm an der Rezeption sprechen. Er ist so etwas wie ein Faktotum. Bringt den Torf für das Feuer, schneidet die Hecken, repariert dies und das. In der Nacht hat es offensichtlich einen Stromausfall gegeben. Er musste alle möglichen Uhren nachstellen. Ein Unfug, diese moderne Technik.«
»Hast du ihn kennengelernt?«
»Wen?«
»Den Gärtner.«
»Nein. Warum sollte ich mich mit dem Hausmeister bekannt machen?«
»Ach, ich dachte nur so. Ich finde, er ist ein interessanter Mann. Er kennt unzählige alte Geschichten.«
»Die spinnen sich die Schotten eben so zurecht. Das ist nichts Besonderes. Aber du bist natürlich von so etwas beeindruckt. Du bist viel zu verträumt, Margita. Es ist ganz gut, dass ich dir nicht nachgegeben habe, als du diese verrückte Ausbildung machen wolltest.«
Ich hatte als Kind zwei Träume gehabt. Ich wollte Innenarchitektin werden oder Köchin. Aber die Flausen hatte mir Tante Henrietta kräftig ausgetrieben. Ich wurde nüchterne DV-Technikerin und arbeitete im Support in einem großen Unternehmen. Da war kein Platz für Träumereien.
Ich wechselte höchst einfallsreich das Thema.
»Ziemlich windig heute.«
»Mh.«
Eine gute halbe Stunde lang legten wir den Weg schweigend zurück, dann lag der Golfplatz vor uns - eine smaragdgrüne Fläche mit der üblichen an die Landschaft angepassten gärtnerischen Gestaltung. Dahinter ragten die Berge grau und majestätisch in den wolkenbetupften Himmel auf. Sie ließen für mich den lebhaften Betrieb auf dem Green ziemlich klein und unbedeutend erscheinen. Aber auf die dort versammelten Jungmanager übten die schroffen Riesen nicht dieselbe Wirkung aus. Sie trainierten verbissen die wichtigste Technik ihrer Karriereplanung - das nützliche Gespräch am siebten Loch. Da, wo über das Wohl und Wehe ganzer Industrieimperien entschieden wurde - und, was noch viel interessanter war, über das Wohl und Wehe der aufstrebenden Führungskraft.
Wir kamen nahe an dem Gelände vorbei, und ich erkannte John-Tom, der sich zu so etwas wie dem geistigen Führer der großmäuligen Truppe aufgeschwungen hatte. Seinen Gesten zufolge erklärte er gerade einigen anderen seine überlegene Art des Treibschlags, und ich bangte um deren Schädeldecken. Ein Schlag mit dem Driver kann ganz schön zerstörerisch sein.
Tante Henrietta war auf den letzten Metern immer langsamer geworden. Ihre Schwäche hatte sie vermutlich doch noch nicht gänzlich überwunden.
»Ich werde mich auf dieser Bank einen Moment ausruhen. Komm mit!«, befahl sie. Ich folgte ihr, und sie setzte sich erleichtert nieder.
»Ist alles in Ordnung, Tante Henrietta?«
»Ja, ja. Geht gleich wieder. Erzähl mir was.«
Diese Art von Forderungen kannte ich ebenfalls zur Genüge. Mit ihnen wollte sie von irgendeiner Sache ablenken. Trotzdem entging mir die Blässe um ihre Mundwinkel nicht. Den Rückweg würden wir erheblich langsamer angehen lassen. Und wenn ich mir dazu den Fuß verknacksen musste. Zunächst aber gehorchte ich ihrer Anordnung.
»Den Engländern muss auch jemand die Geschichte von dem Schlossgespenst erzählt haben. Ich hörte sie gestern darüber reden. Besonders dieses Damentrio, du weißt schon, die alle gleich aussehen, schien davon begeistert.«
»Die Schwestern?«
»Sind es Schwestern? Ja, das könnte sein.«
»Fitzgerald oder so.«
»Stimmt, so nannten sie sich. Die sind richtige Originale. Sie erzählten den anderen, sie veranstalteten zu Hause Séancen und unterhielten sich mit den Geistern der verstorbenen Familienangehörigen. Vermutlich sind sie geübte Expertinnen in Sachen Spuk und Fluch.«
Das belebte
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