MacTiger - Ein Highlander auf Samtpfoten
Manchmal hatte ich trotzdem den Eindruck, für meine Tante bliebe ich ewig vierzehn - ein verschrecktes, einsames, introvertiertes Kind, das seine Mutter verloren hatte.
Während des Essens unterhielt ich sie mit der Geschichte des versunkenen Gebisses und erhielt ein grimmiges Lächeln als Belohnung.
»Etwas degoutant, beim Essen.«
»Ja, und außerdem ungebührliche Schadenfreude auf Kosten anderer. Aber trotzdem leider witzig.«
Dann schwiegen wir eine Weile, und ich konnte hinter mir eine bekannte Stimme hören. Ken war inzwischen doch noch zu seinen Freunden gestoßen.
»John-Tom, nun hör doch mal zu. Ich habe verstanden, wie blendend euch der Whisky bekommen ist und dass ich etwas versäumt habe, aber ich hatte zu tun. Und dabei haben meine Geräte angefangen zu spinnen. Ist dir das auch schon mal passiert?«
»Nee. Wahrscheinlich das Schlossgespenst. Hähähä!«
John-Tom meckerte wie eine ältliche Ziege, wenn er lachte. Ein sehr unangenehmes Geräusch.
»Mann, habt ihr ein ganzes Fass Whisky ausgetrunken? Nun bleib doch mal ernst.«
»Ganzes Fass nicht, aber - hey, du solltest die Festplatte mit Whisky reinigen, vielleicht geht’s dann wieder.«
»John-Tom. Hör zu! Hast du einen Virenscanner?«
»Klar. Hast du einen Schnupfen? Hähähä?«
»Könntest du mir die CD leihen?«
»Dann frisst sie vielleicht das Schlossgespenst.«
Oje, John-Tom gewann nicht gerade mit gehobenem Promillepegel. Und Ken hatte vermutlich wirklich ein Computervirus auf seinem Laptop. Ich konnte verstehen, dass er nicht sehr glücklich darüber war. Gina war ihm auch keine Hilfe, sie bemerkte nur missbilligend: »Du solltest dir nicht so viele Spiele auf dein Gerät packen. Die sind fast immer verseucht.«
Ich lauschte der Diskussion nicht länger, denn Tante Henrietta verlangte wieder meine Aufmerksamkeit. Sie fragte mich nach meinen Unternehmungen, und ich berichtete Belangloses über die Landschaft. Über den Steinkreis mochte ich mit ihr nicht sprechen.
Wir beendeten unser Essen mit diesen köstlichen kleinen Kuchen, den Scones . Ich war anschließend so satt, dass ich mich kaum von meinem Platz erheben konnte. Normalerweise aß ich nicht so viel.
Tante Henrietta übrigens auch nicht, deswegen erstaunte mich ihre Bemerkung auch nur wenig.
»Wir werden einen Drambuie zur Verdauung brauchen.«
»Das scheint mir auch so«, stimmte ich zu. Ich folgte ihr in die Halle, wo sich schon einige Gäste um den Kamin versammelt hatten. Ken bemerkte mich nicht, er war in irgendwelche Fachsimpeleien versunken. Später sah ich ihn dann mit Gina verschwinden. Er nahm mich noch nicht einmal wahr, obwohl ich direkt in seinem Weg saß. So viel zu dem Thema Flirt und Gina ausstechen. Dachte ich.
Ich zog mich kurz nach zehn zurück, als auch Tante Henrietta zu Bett gehen wollte. Blieben noch meine Gespenstergeschichten und meine Nachforschungen. Dazu nahm ich einen der ausführlicheren Reiseführer mit auf mein Zimmer.
Als Erstes versuchte ich, die Zeit ein wenig genauer festzulegen. Die Anhaltspunkte waren rar, die Kleidung, die die beiden Gestalten trugen, hatte sich über Jahre hinweg nicht besonders geändert. Immerhin trug der junge Mann einen Kilt ähnlich dem, der heute noch getragen wird. Der Lektüre nach entstand dieses Kleidungsstück Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Das schränkte die Zeit schon auf bloße dreihundert Jahre ein. Es war, wenn ich mich recht erinnerte, auch ein sehr einfacher brauner Tartan. Eine Zuordnung der Muster zu den einzelnen Clans existierte bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts noch nicht, also konnte ich daraus auch nicht ableiten, zu welchem Stamm er gehört hatte. Aber der Zeitraum beschränkte sich damit möglicherweise auf die hundert Jahre zwischen 1700 und 1800.
Andererseits, als ich in der Ruine gesessen hatte, lehnte der junge Mann an einem heute nicht mehr vorhandenen Türpfosten. Also war Blair Rath Castle damals noch intakt gewesen. Ich blätterte in den Geschichtsdaten nach.
Drumnadruid Castle war 1744 bei einem Überfall zum Teil zerstört worden und erst 1837 von den aus Kanada zurückgekehrten MacDuffnets in der heutigen Form wieder aufgebaut worden.
Nach der Highland Clearence, die nach der Niederlage der schottischen Clans im Krieg gegen die Engländer begann, war auch Blair Rath Castle verlassen und dem Verfall anheimgegeben worden.
Gut, das schränkte den Zeitraum auf die erste Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts ein. Später vermutlich nicht.
Ich erinnerte
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