Madame Bovary: Roman. Herausgegeben und übersetzt von Elisabeth Edl (German Edition)
Schmerz auszudrücken, als ich sah, dass dieser Mann vors Strafgericht gezerrt wird – für einige Stellen seines Buches, und ausgerechnet für die wahrsten und für die erhabensten Gedanken und Gefühle, die er versammelt hat! Das bitte ich Sie nicht zu vergessen im Hinblick auf die Anschuldigung des Verstoßes gegen die religiöse Moral. Außerdem werde ich, sofern Sie es gestatten, alldem etwas gegenüberstellen, Ihnen unterbreiten, was ich persönlich Gefährdung der Moral nenne, das heißt, die Befriedigung der Sinne ohne Bitterkeit, ohne diese eiskalten großen Schweißtropfen , die von der Stirn jener fallen, die sich ihr hingeben; und ich werde Ihnen keine schlüpfrigen Bücher zitieren, in denen die Autoren versucht haben, die Sinne zu erregen, ich werde Ihnen ein Buch zitieren – das in den Schulen als Preis überreicht wird, ich bitte Sie jedoch um die Erlaubnis, Ihnen den Namen des Autors erst zu sagen, nachdem ich eine Passage gelesen habe. Hier also diese Passage, ich werde Ihnen den Band aushändigen; das ist ein Exemplar, das einem Schüler im Collège als Preis überreicht wurde; ich gebe Ihnen lieber dieses Exemplar als das von Monsieur Flaubert:
»Am nächsten Tag wurde ich wieder in ihre Wohnung geführt. Dort nahm ich alles wahr, was zu Lüsternheit verleiten kann. Man hatte im Zimmer die angenehmsten Düfte verstreut. Sie lag auf einem Bett, das nur von Blumengirlanden verhangen war; sie zeigte sich schmachtend darauf hingestreckt. Sie reichte mir die Hand und hieß mich neben ihr Platz nehmen. Alles, sogar der Schleier, der ihr Gesicht bedeckte, besaß Anmut. Ich sah die Formen ihres schönen Leibs. Ein bloßes Linnen, das sich auf ihr bewegte, ließ mich abwechselnd bezaubernde Schönheiten verlieren und finden.« Ein bloßes Linnen, das über einen Leichnam gebreitet war, dünkte Sie ein laszives Bild; hier ist es über die lebendige Frau gebreitet. »Sie merkte, dass meine Augen beschäftigt waren, und als sie sah, dass sie sich entflammten, schien sich das Linnen von alleine aufzutun; ich sah die Schätze einer göttlichen Schönheit. In diesem Augenblick drückte sie mir die Hand; meine Augen irrten überallhin. Nur meine geliebte Ardasire, rief ich, ist genauso schön; aber ich beschwöre die Götter als Zeugen, dass meine Treue … Sie warf sich mir an den Hals und umschlang mich mit ihren Armen. Plötzlich verdunkelte sich das Zimmer, ihr Schleier tat sich auf; sie gab mir einen Kuss. Ich war ganz außer mir; eine jähe Flamme schoss durch meine Adern und erhitzte all meine Sinne. Der Gedanke an Ardasire entfernte sich von mir. Ein Rest von Erinnerung … doch schien mir diese nur ein Traum … Ich war im Begriff … Ich war im Begriff, sie ihr selber vorzuziehen. Schon lagen meine Hände auf ihrem Busen; rasch liefen sie überallhin; die Liebe zeigte sich nur durch ihr wildes Rasen; sie stürmte zum Sieg; noch einen Augenblick, und Ardasire konnte sich nicht mehr verteidigen.«
Wer hat das geschrieben? Es nicht einmal der Autor der Neuen Heloise , es stammt, Herr Gerichtspräsident, von Montesquieu! Hier, nicht die kleinste Bitterkeit, nicht der kleinste Ekel, alles wird der literarischen Schönheit geopfert, und das überreicht man Schülern der Unterprima als Preis, wahrscheinlich, damit es ihnen als Vorbild diene bei den Ausarbeitungen oder Beschreibungen, die man sie machen lässt. Montesquieu beschreibt in den Persischen Briefen eine Szene, die man nicht einmal vorlesen kann. Es geht um eine Frau, die dieser Autor zwischen zwei Männer stellt, die sich um sie streiten. Diese Frau zwischen zwei Männern hat Träume – die ihr äußerst angenehm erscheinen.
So weit sind wir gekommen, Herr Staatsanwalt! Müssen wir auch noch Jean-Jacques Rousseau in den Bekenntnissen und anderswo zitieren! Nein, ich möchte dem Gericht nur sagen, sollte Monsieur Mérimée wegen seiner Beschreibung des Wagens in Das zwiefache Verkennen verfolgt werden, würde er unverzüglich freigesprochen. Man würde in seinem Buch nur ein Kunstwerk sehen, nur große literarische Schönheiten. Man würde ihn genausowenig verurteilen, wie man Maler oder Bildhauer verurteilt, die sich nicht damit begnügen, der ganzen Schönheit des Körpers Ausdruck zu verleihen, sondern aller Glut, aller Leidenschaft. So weit bin ich nicht; ich bitte Sie anzuerkennen, dass Monsieur Flaubert seine Bilder nicht überfrachtet hat, und dass er nur eines getan hat: mit sicherer Hand an die Szene der Entwürdigung heranzugehen. In
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