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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Langley
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ins Wohnzimmer, das Faltblatt in der Hand, behutsam, als wäre es ein gefährlicher Gegenstand, was es ja letztlich auch war.
    Ihr Vater saß auf seinem gewohnten Platz am Küchentisch. Er wartete auf sein Frühstück und hatte einen aufgeschlagenen Atlas vor sich liegen, auch wenn er wegen seines schlechten Augenlichts eine Lupe zu Hilfe nehmen musste, um die Seiten nach einer halbmondförmigen Inselgruppe im Pazifischen Ozean abzusuchen.
    »War da jemand an der Tür, Nancy?«
    Wie gebrechlich er aussah. In dieser bitteren Komödie, die sie zurzeit durchlebten, hatten sie und ihre Eltern die Rollen getauscht: Es schien, als wäre jetzt sie die Beschützerin und Trösterin.
    »Offenbar hat jemand bei einer Behörde einen Fehler gemacht«, sagte sie resolut, »wie es aussieht, soll Joey sich als« – sie hielt kurz inne – »Ausländer registrieren lassen.«
    Sie sagte nichts von einem Transport oder einem Internierungslager. Trotzdem sah er sie besorgt an.
    »Ich könnte ein paar Leute anrufen und versuchen, mehr darüber herauszufinden.«
    »Schon gut, Dad, ich spreche mit Harry im Büro, wir klären das.«
    Sie tippte mit ihren unlackierten Nägeln auf das Faltblatt. »Das kann einfach nicht sein.«
    Im Büro überlegte sie, wie sie die Sache am besten angehen sollte. Sie hatte Joeys Herkunft nicht bewusst verschwiegen, das Thema war nur einfach nie zur Sprache gekommen. Deshalb tat sie jetzt so, als ginge es nicht um eine persönliche Angelegenheit, sondierte vorsichtig. Ihre Kollegen waren allesamt hart arbeitende, aufrechte Demokraten, denen Freiheit und Gerechtigkeit am Herzen lagen, so etwas musste doch sämtlichen Idealen widersprechen? Wer war bloß auf diese Idee gekommen? Schließlich sprach sie ihren Boss darauf an.
    »Harry? Diese … Durchführungsverordnung – 9066. Das ist doch bestimmt nicht gesetzmäßig, oder?«
    Er musste nicht lange nachdenken. »Doch. Genau genommen bedeutet es, dass jeder, von dem eine potenzielle Gefahr ausgeht, seine Wohnung verlassen muss …«
    »Soll das etwa heißen, dass beispielsweise das Kind einer japanischen Mutter gefährlich ist?«
    »Nach Pearl Harbor gilt jeder mit einer Verbindung zu Japan als Bedrohung – er könnte ein Spion sein. Ich habe gestern mit jemandem in unserem Büro in San Francisco gesprochen, der Mann gehört dem Vorstand eines katholischen Waisenhauses an. Der Priester, der die Einrichtung leitet, hat beim Außenministerium angerufen, ist bei einem gewissen Major Bendetsen in der Abteilung Umsiedlungen gelandet und hat ihm erklärt, sie hätten Kinder japanischer Abstammung bei sich, einige wären zur Hälfte Japaner, andere zu einem Viertel oder noch weniger. Also fragt er diesen Major sarkastisch: ›Welche Kinder soll ich Ihnen denn schicken?‹ Und der antwortet doch glatt: ›Jedes, das auch nur einen Tropfen japanisches Blut in sich hat.‹ Ich schätze mal, das betrifft so um die hunderttausend Menschen.«
    Nancy starrte ihn an. »Wer hat diesen Unsinn unterschrieben, diese Verordnung? Wer zum Teufel genehmigt eine Maßnahme, die unschuldige Menschen ihrer Freiheit beraubt?«
    »Na, der Präsident, wer sonst.«
    »Roosevelt?«
    »Das muss unter uns bleiben«, sagte er, »aber ich habe gehört, im Weißen Haus herrscht heillose Panik, Eleanor ist wegen dieser Sache außer sich vor Wut, aber sie bleiben dabei. Schutzmaßnahmen. Die Sicherheit der Nation.«
    Er bemerkte ihre Verzweiflung. »Nancy, was ist los?«
    »Mein Sohn …« Ihre Stimme klang gefährlich schrill. Sie unterbrach sich. Zum ersten Mal fühlte sie sich hier nicht wohl, nicht sicher; man hatte eine Grenze gezogen, und sie befand sich auf der falschen Seite. Selbst unter Freunden.
    »Mein Sohn hat einen Freund mit einer japanischen Mutter … Könnte die Familie davon betroffen sein?«
    »Ich hoffe nicht, aber ehrlich gesagt, sieht es nicht gut aus, in Washington laufen sie wie kopflose Hühner durch die Gegend und faseln irgendwas vom Feind in den eigenen Reihen, und dass sich eine feindliche Macht bei uns ausbreitet.« Er schüttelte den Kopf. »Sie fürchten sich.«
    Man muss nichts fürchten außer der Furcht selbst.
    Sie nickte. »Nun ja, ich denke, wir haben alle viel zu tun …«
    Sie ging zurück in ihr Büro und schloss die Tür.
    Später rief sie Joey an.
    »Kannst du ein paar Tage nach Hause kommen? Es ist etwas passiert.«
    In der Leitung rauschte es, trotzdem war seine Stimme deutlich zu verstehen. »Ma? Geht es um diese Verordnung 9066?«
    »Woher weißt du

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