Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
Vom Netzwerk:
verstohlene Blicke auf Duff warf. Alle tranken zu viel und versuchten krampfhaft zu beweisen, dass sie fröhlicher und weniger von all dem betroffen waren als die anderen.
    »Die Stiere und das Blut kann ich ja noch ertragen«, erklärte mir Don leise. »Aber diese zwischenmenschlichen Geschichten drehen mir den Magen um.«
    Ich blickte von ihm zu Ernest, der seit dem Frühstück nicht mehr mit mir gesprochen oder mich auch nur eines Blickes gewürdigt hatte. »Ja«, stimmte ich Don zu. »Aber was ist der Trick
dafür

    »Ich wünschte, ich wüsste es. Vielleicht gibt es dafür auch keinen Trick.« Er trank den Rest seines Biers aus und signalisierte dem Kellner, ihm ein weiteres zu bringen.
    »Manchmal wünschte ich, wir könnten all unsere Fehler auslöschen und noch einmal ganz von vorn beginnen«, erklärte ich. »Und dann wieder denke ich, dass unsere Fehler vielleicht das Einzige sind, das uns ausmacht.«
    Er lachte grimmig und ernst, während Duff am anderen Ende des Tisches Ernest irgendetwas ins Ohr flüsterte, der daraufhin rauh wie ein Seemann auflachte. Ich drehte meinen Stuhl von den beiden weg, so dass ich sie überhaupt nicht mehr sehen musste, und sobald ich das getan hatte, fielen mir Fonnie und Roland vor gefühlten hundert Jahren in St. Louis ein. Sie konnte Rolands Anblick nicht ertragen, weil sie ihn für schwach und verabscheuenswert hielt. Ich konnte Ernests Anblick nicht ertragen, weil er mich mit jedem Lachen und Flüstern verletzte – aber worin lag schon der große Unterschied? Vielleicht bestand jede Ehe ab einem bestimmten Punkt aus dem Verrücken von Stühlen. Aus lauter Schweigen und Wegschauen.
    »Wie traurig und sonderbar wir alle doch sind«, sagte ich zu Don.
    »Deshalb bin ich gestern auch so rührselig geworden. Dafür möchte ich mich übrigens noch bei dir entschuldigen.«
    »Das brauchst du nicht. Lass uns einfach gute Freunde sein, die um diese Dinge wissen, sie aber nicht aussprechen müssen.«
    »In Ordnung«, sagte er, blickte auf seine Hände und nahm noch einen Schluck Bier. So verging dieser Nachmittag, bis es Zeit für die Corrida war.
     
    Der junge Matador Cayetano Ordóñez war im Grunde noch ein Kind, aber er bewegte sich mit so viel Sicherheit und Würde, dass es aussah, als tanzte er. Der dunkelrote Stoff seines Umhangs wurde durch die kleinste Bewegung seines Armes zum Leben erweckt. Er stand fest auf der Erde und lehnte sich leicht nach vorn, blickte dem entgegen, was kommenmochte, und forderte den Stier mit kaum wahrnehmbaren Gesten oder Blicken zum Angriff auf.
    Ernest war vor der Corrida äußerst schlecht gelaunt gewesen, aber nun weckten Ordóñez’ Bewegungen sein Interesse. Duff witterte ihre Chance und stand auf, um sich näher zu ihm zu setzen.
    »Meine Güte, der Mann ist ja großartig«, sagte Duff.
    »Das ist er wohl«, stimmte Ernest zu. »Schau dir das an.«
    Ordóñez führte den Stier in die Irre, drehte eine Veronica und noch eine engere mit seinem Umhang, womit er den Stier magisch anzog. Die Picadores hatten sich zurückgezogen, da sie wussten, dass Ordóñez ihn völlig unter Kontrolle hatte. Es war ein Tanz, und zugleich war es große Kunst. Er war erst neunzehn Jahre alt, aber er verfügte über ein ursprüngliches, uraltes Wissen, dass er ganz leicht und natürlich anwendete.
    »Manche führen einfach nur die Bewegungen aus«, erklärte Ernest. »Das ist ja sehr hübsch, hat aber noch gar keine Bedeutung. Dieser
hombre
weiß allerdings, dass man nahe genug dran sein muss, um dabei sterben zu können. Im Grunde muss man bereits tot sein, um zu überleben und das Tier zu besiegen.«
    Duff nickte. Sie war angesteckt von seinem Enthusiasmus und, möge Gott mir beistehen, das war ich auch. Ernests Augen leuchteten beim Reden plötzlich beinahe genauso wie Ordóñez’ Umhang. Diese Intensität tauchte aus seinem tief verborgenen Innersten auf und drückte sich in seinem Gesicht und in seiner Kehle aus. Ich sah, wie er mit Ordóñez und dem Stierkampf und mit dem Leben an sich verbunden war, und wusste, dass ich ihn für all das, was er mir antat, noch so sehr hassen konnte; ich würde dennoch niemals aufhören, ihn für das zu lieben, was er war.
    »Jetzt sieh hin«, sagte er. Der Stier kam geduckt näher, das linke Horn nach vorn gereckt, der Hals zuckend. Ordóñez’Schenkel waren nur Zentimeter von den kraftvollen Beinen des Stiers entfernt, und er lehnte sich weiter vor, so dass sein Bauch nur ganz leicht vom Kopf des Stieres berührt

Weitere Kostenlose Bücher