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Madame Hemingway - Roman

Madame Hemingway - Roman

Titel: Madame Hemingway - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula McLain
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überhaupt je besessen hatte. Mittlerweile bestand sein Leben nur noch aus Lügen und Kompromissen. Er belog jeden, angefangen mit sich selbst, denn es herrschte Krieg, und im Krieg tat man alles, um am Leben zu bleiben. Doch wenn er überhaupt je die Kontrolle über die Dinge besessen hatte, dann verlor er sie nun. Die Lügen wurden immer schwieriger und zogen sich immer dichter um ihn. Und weil es ihm von Zeit zu Zeit mehr Schmerzen bereitete, als er ertragen konnte, besaß er ein schwarzes leinenbespanntes Notizbuch mit dickem cremefarbenem Papier, in dem er alle Möglichkeiten festhielt, sich umzubringen, falls es einmal so weit kommen sollte.
    Man konnte das Gas aufdrehen und auf den langsam dichter werdenden Nebel und den schwermütigen, erstickenden Halbschlaf warten. Man konnte sich die Pulsadern aufschneiden, Rasierklingen hatte man schließlich immer dabei, und es gab andere Stellen am Körper, bei denen es sogar noch schneller ging: am Hals unter dem Ohr oder am inneren Oberschenkel. Er hatte schon Messer in Eingeweiden stecken sehen, doch das war nichts für ihn. Es erinnerte ihn an die aufgeschlitzten Pferde in Spanien, das violette Knäuel der herausquellenden Gedärme. Das also nicht, solange es noch andere Möglichkeiten gab. Zum Beispiel aus dem Fenster eines Hochhauses springen. Darauf war er gekommen, als er in New York war und nach seinem Treffen
mit Max Perkins betrunken auf das Woolworth Building blickte. Er war sogar glücklich über diesen Gedanken gewesen. Dann gab es noch das Meer; man konnte nachts von einem Ozeandampfer springen, und nur die Sterne würden einem dabei zusehen. Wobei das furchtbar romantisch wäre und man vorher erst einmal den Ozeandampfer organisieren müsste. Man konnte auch einfach von irgendwo aus losschwimmen, wenn man nur fest genug entschlossen war. Dann konnte man tief nach unten tauchen und dort bleiben, weit unten, die Luft entströmen lassen und einfach dort bleiben, und wenn einen jemand haben wollte, dann sollte er eben kommen und einen herausholen. Aber sobald es ihm einfiel, war ihm klar, dass er es tatsächlich wohl nur mit einem Gewehr tun würde.
    Das erste Mal ernsthaft eine Schusswaffe angeschaut und übers Abdrücken nachgedacht hatte er, als er achtzehn und gerade in Fossalta verwundet worden war. Er hatte gefühlt, wie der pure Schmerz ihn wie ein Blitz durchfuhr, und dieser Schmerz war größer gewesen, als er es je für möglich gehalten hätte. Er hatte das Bewusstsein verloren, und als er wieder zu sich kam, waren seine Beine ein Brei, der nicht mehr zu ihm gehörte. Das tat auch sein Kopf nicht, aber da lag er nun auf einer Trage und wartete, umringt von Toten und Sterbenden, darauf, von den Sanitätern fortgebracht zu werden. Über ihm wurde der Himmel weiß und war nur noch ein Flackern aus Licht und Hitze. Schreie. Überall Blut. Zwei Stunden lang lag er da, und jedes Mal, wenn er Artilleriefeuer hörte, fing er gegen seinen Willen an zu beten. Er wusste nicht einmal, woher die Worte kamen, da er eigentlich nie betete.
    Blutdurchtränkt lag er da, zum Himmel hin offen, und der Himmel war offen für den Tod. Da sah er plötzlich die Pistole, sie lag ganz in der Nähe seines Fußes. Wenn er sie doch nur erreichen könnte. Alle um ihn herum starben, und es wirkte so viel normaler und natürlicher als dieser Schmerz. Diese hässliche
Öffnung. Im Geiste griff er nach der Pistole. Er griff nach ihr und verfehlte sie. Und dann kamen die Sanitäter und trugen ihn lebend davon.
    Er hatte sich selbst immer für mutig gehalten, aber in der Nacht, in der er angeschossen wurde, hatte er keine Chance gehabt, es zu beweisen. Heute wusste er immer noch nicht, ob er es war. Im Herbst hatte er sich geschworen, dass er es tun würde, wenn sich die Situation mit Pfife bis Weihnachten nicht geklärt hatte, doch das hatte sie nicht, und er hatte es dennoch nicht getan. Er sagte sich, dass er es nicht tat, weil er sie und auch Hadley zu sehr liebte und ihnen kein Leid zufügen wollte – dabei litten sie ja alle längst ganz schrecklich.
    Nun war Sommer, und das Ganze wurde immer unmöglicher. Er konnte und wollte sich ein Leben ohne Hadley nicht vorstellen, aber Pfife wand sich immer enger um sein Herz. Sie verwendete schon das Wort »Ehe« und meinte es immer ernster.
    Er wollte sie beide, aber man konnte nicht alles haben, und die Liebe half ihm nun auch nicht weiter. Nichts konnte ihm helfen außer seinem Mut, aber was war eigentlich mutig? Nach der Pistole zu

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