Madame Hemingway - Roman
konnte, sie würden sich schon seit Jahren kennen. Und nach Kittys Neuigkeiten fühlte ich mich noch verletzlicher. Die schlimmsten Dinge erscheinen einem immer wie Unfälle, als wären sie aus dem Nichts heraus geschehen. Doch das ist nur mangelnde Weitsicht. Kitty mochte es unvorbereitet getroffen haben, aber Harold hatte seine Flucht wahrscheinlich schon seit Monaten geplant. Ich kam nicht umhin, mich zu fragen, ob mir das Gleiche passieren konnte. Wann war diese Duff denn überhaupt auf der Bildfläche erschienen? Irgendwann nach Mitternacht, als ich einfach keine Minute länger wach bleiben konnte, entschuldigte ich mich bei Kitty und machte Ernest auf mich aufmerksam. »Zeit, deine arme Frau ins Bett zu bringen«, verkündete ich. »Ich falle fast um vor Müdigkeit.«
»Arme Kat«, rief er. »Dann geh schon mal nach Hause. Soll ich jemanden bitten, dich zu begleiten?«
»Du willst hierbleiben?«, fragte ich spitz. Duff wandte sich höflich ab.
»Natürlich. Wieso denn nicht? Ich bin schließlich noch nicht müde.«
Meine Stimme versagte nun völlig, doch Kitty kam zu meiner Rettung. »Ich kümmere mich um deine Frau, Hem. Bleib du nur hier und amüsier dich.« Sie warf ihm einen eisigen Blick zu, dem er jedoch keinerlei Beachtung schenkte.
»Das ist lieb von dir, Kitty. Danke.« Er stand auf und drückte meinen Arm freundschaftlich. »Ruh dich aus.«
Ich nickte wie in Trance, während Kitty mich fest am Arm packte und hinausführte. Vor der Tür begann ich stumm zu weinen. »Ich schäme mich so sehr«, sagte ich.
Kitty nahm mich kurz aufmunternd in den Arm. »Darling,
er
sollte sich schämen. Und sie ebenso. Es heißt, sie muss massenweise Männer um sich scharen, weil sie ihre Rechnungen nicht selbst bezahlen kann.«
»Duff«, stieß ich hervor. »Wie kann man sich bloß so nennen?«
»Du sagst es. Ich würde einiges darauf verwetten, dass nicht einmal ein Mann mit so wenig Verstand wie Hem eine Frau wie dich für so eine Nummer verlassen würde.«
»Du bist immer so gut zu mir, Kitty. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich vermissen werde.«
»Ich weiß. Du wirst mir auch fehlen, aber was soll ich machen? Mir bleibt nichts anderes übrig, als nach London zu ziehen und zu hoffen, dass Harold mir dorthin folgt.«
»Wird er das denn tun?«
»Ich habe, ganz ehrlich, keine Ahnung.«
Zu Hause war Bumby wach und kaute weinend auf einem kleinen Gummiring herum.
Marie schaute mich entschuldigend an. »Ich glaube, er hat schlecht geträumt. Armes Ding. Ich konnte ihn nicht trösten.«
»Danke, dass Sie so lang geblieben sind, Marie.« Als sie fort war, versuchte ich Bumby in den Schlaf zu wiegen, doch er war unruhig und weinerlich. Erst nach einer Stunde hatte ich Erfolg, und als ich mich endlich selbst ins Bett legte, war ich so müde, dass ich mich wie im Delirium fühlte. Trotzdem konnte ich nicht einschlafen. Ich hatte mich so stark gefühlt und war so zufrieden mit unserem Leben gewesen, dabei hatte Kitty recht: Die Konkurrenz wurde immer härter. Paris wimmelte nur so von verlockenden Frauen. Mit ihren frischen Gesichtern und ihren langen anmutigen Beinen saßen sie in den Cafés und warteten darauf, dass etwas Unerhörtes geschah. Währenddessen hatte sich mein Körper durch die Schwangerschaft verändert. Ernest behauptete, meine fülligeren Hüften und Brüste zu lieben, aber da es so viel anderes zu betrachten gab, konnte er allzu schnell das Interesse an mir verlieren. Vielleicht hatte er das auch schon längst – und was konnte ich dagegen ausrichten? Was konnte irgendjemand dagegen tun?
Ich war immer noch wach, als Ernest etwas später nach Hause kam, und so müde, dass ich anfing zu weinen. Ich konnte mich nicht zurückhalten.
»Arme Mummy«, sagte er, kletterte hinter mich ins Bett und hielt mich fest im Arm. »Ich wusste nicht, dass du so erschöpft bist. Was du brauchst, ist ein schöner, langer Urlaub.«
»O Gott, ja«, sagte ich, überkommen von einer Woge der Erleichterung. »Irgendwo weit, weit weg von hier.«
Neunundzwanzig
Der Ort, der »weit, weit weg von hier« sein sollte, wurde das kleine Örtchen Schruns im österreichischen Vorarlberg. Wir kamen dort kurz vor Weihnachten 1924 an und fühlten uns vom ersten Tag an heimischer, als wir es je für möglich gehalten hätten. Für weniger als die Hälfte unserer Miete in Paris bekamen wie zwei komfortable Zimmer im Hotel Taube und ein Kindermädchen namens Tiddy, das Bumby spazieren fuhr. Es gab achtunddreißig
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