Madame Lotti
Die Frau nickt, sagt, das verstehe sie und sie komme morgen wieder, wenn sie die Reise definitiv vorbereitet habe. Das Geld möchte sie erst dann.
Nachdem sie rausgegangen ist, kommt ein junger, sehr muskulöser Mann in einem ärmellosen Overall und mit einem roten Helm unter dem Arm in Lottis Sprechzimmer. Es ist der Bruder von Marcel, der im Sterbespital im Männerzimmer liegt und dessen eiternde Wunde den Verband gelb und rosa nässt. Weil er Arbeit hat, möchte er Lotti für ihre Bemühungen um seinen Bruder etwas bezahlen.
Sie winkt ab: «Im Sterbespital wird jeder und jede gratis behandelt, wenn du für mich etwas tun willst, dann lass dich testen, damit wir wissen, ob du dieselbe Krankheit wie Marcel hast. Finden wir das jetzt schon heraus, können wir dich mit Sulfonamiden vor eventuellen Infektionen schützen. Weisst du, Sulfonamide hätten auch Marcel vor dieser schlimmen Infektion an seinem Bein schützen können, so kräftig, wie er noch ist. Überlege es dir bitte gut.»
Der Mann verspricht, darüber nachzudenken, bedankt sich dann herzlich bei Lotti, drückt ihre Hand so, dass sein Bizeps deutlich grösser wird, und schreitet hinaus. Sein wohlgeformter Oberkörper zeichnet sich unter dem eng anliegenden Overall ab. Beim Gedanken, dass ein dermassen vor Kraft strotzender Körper durch die Fahrlässigkeit eines einzigen ungeschützten Geschlechtsverkehrs in ein lebendes Skelett verwandelt werden kann, wird mir übel. Vielleicht ist es aber auch die gnadenlose Hitze, die mir zusetzt. Oder der Hunger. Mit Lotti, die nur einmal am Tag warm isst, wenn überhaupt, und ansonsten von ihrem Frühstück am Kiosk lebt, vergisst man leicht zu essen.
Gerade als ich in mein Zimmer gehen will, um dort ein paar Crackers zu essen, läutet Lottis Handy. Sie drückt es mir in die Hand: «Ich habe keine Zeit, sag doch bitte, ich sei später wieder zu erreichen.»
Keine Frage, Lotti beginnt mich einzusetzen. Ich drücke auf den Annahmeknopf und habe Aziz am Ohr. Ganz offensichtlich freut er sich, mich zu hören, und so stelle ich ihm gleich die Frage, ob ich ihn in Kairo besuchen dürfe.
«Selbstverständlich», tönt es aus Ägypten.
Also gehe ich aufs Ganze: «Wie wäre es nächsten Monat?»
«In den ersten zwei Wochen ist das gut möglich, danach bin ich auf Geschäftsreise.»
Und weil man das Eisen schmieden soll, solange es heiss ist, melde ich mich nach meiner Rückkehr aus Abidjan sofort bei ihm, schlage den fünften April vor und bekomme kurz darauf die Antwort, dass es ihm am siebten besser passe. Das nächste Schreiben offenbart dann auch gerade das, was Lotti mir schon längst über ihren Mann erzählt hat, nämlich, dass er zu organisieren weiss.
Reise nach Kairo
Gabriella, wenn du am 7. April 2004, hoffentlich pünktlich, um 14.45 Uhr gelandet bist, dann brauchst du zuerst einmal ein Visum für die Einreise. Das löst du aber besser nicht in Zürich, sondern am Flughafen in Kairo. Ich werde jemanden schicken, der dich vor dem Zoll mit einem Schild ‹G. Baumann-von Arx› abfängt, diesem Jemand übergibst du fünfzehn US-Dollar und deinen Pass, er wird das Visum für dich besorgen und dich dann durch den Zoll schleusen. In der Ankunftshalle wird dich wieder jemand mit einem Schild empfangen. Dieser Jemand heisst Hichem, ist mein Chauffeur und eine Seele von einem Menschen. Hichem wird dich erst nach Hause fahren, dich auspacken lassen, dich dann zu Sarahs Schule fahren, damit du von dort aus mit ihr heimgehen kannst. Dann lernst du nicht nur unsere Kleinste, sondern gleich auch noch ihren Schulweg kennen. Hichem wird weiterfahren, um mich bei Nestlé abzuholen
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Den Abend verbringen wir zu dritt beim Chinesen. Das Programm für die nächsten Tage steht auch schon, lass dich überraschen
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Du fragst, ob du uns etwas mitbringen kannst. Ja, bitte. Würste! Cervelats, St. Galler Bratwürste, Salami, Schützenwürste, Schweinswürste. Mach dir keine Sorgen wegen der unterbrochenen Kühlkette – du nimmst sie erst kurz bevor du gehst aus dem Kühlschrank, legst sie in eine Isoliertasche und diese dann in deinen Koffer. Während des Fluges sind sie der Kälte ausgesetzt, und Hichem hat im Auto die Klimaanlage an. Bist du bei uns angekommen, lege die Tasche einfach in den Kühlschrank. Die Küche befindet sich im Parterre. Die Wohnung betrittst du im ersten Stock. Bis bald!
Aziz
Ich traue der ganzen Sache trotz der wohl durchdachten Kühlkettenstrategie nicht recht und lege zur Sicherheit zwei
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