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Madame Lotti

Madame Lotti

Titel: Madame Lotti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Arx
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gewärmt werden müssen.
    Später wird mir Sarah lachend erzählen, dass dieser Plan schon sicher drei, wenn nicht gar vier Jahre alt sei und sich inzwischen längst niemand mehr an Mutters Menüvorschläge halte.
    Koffer auspacken, Nacken mit kaltem Wasser erfrischen, Tür abschliessen und ab ins Auto. Fünf Minuten später stehe ich vor Sarahs Schule und bin kaum ausgestiegen, als sie schon fröhlich lachend zur Haupttür heraus- und direkt auf mich zukommt. Wir verabschieden Hichem und gehen zu Fuss zurück zur Wohnung.
    Sarah ist – das wird sofort klar – eine sehr offene, aufgestellte, energiegeladene und kommunikative Fünfzehnjährige, die die zehn Minuten Fussmarsch dazu benutzt, mir zu erzählen, wie schön es sei, dass die Schule so nahe von zu Hause liege, wie gerne sie Jazztanz mache und wie sehr sie es geniesse, dass bald Wochenende sei. Wochenende? Bald? Es ist doch erst Mittwoch.
    Sarah erklärt: «Der höchste Feiertag im Islam ist der Freitag. Wir haben also Freitag und Samstag frei und nicht Samstag und Sonntag.»
    Ich schmunzle, deshalb hat mich der Organisator Aziz also gebeten, an einem Mittwoch zu kommen. Ganz offenbar hat er alles so geplant, dass er mich am Donnerstag mit zur Arbeit nehmen kann und dann zwei Tage frei hat.
    Zu Hause angekommen, zeigt mir Sarah die restlichen Zimmer. Das ihrer Schwester Sonia, ihr eigenes und das ihrer Eltern. Auf Aziz’ Nachttisch stehen Fotos von Lotti, auf Lottis solche von Aziz. Und überall gibt es Bilder der Kinder. Nun, da mich Sarah in den unteren Stock führt, um mir wirklich alles zu zeigen, erlaube ich mir, mich auch dort länger umzusehen, und erkenne Lotti in jeder Ecke. Die Anordnung der Möbel, die Bilder, die an der Wand hängen, die Teppiche auf dem Parkett, die Andenken an all die Länder, in denen die Familie schon gelebt hat – alles Lottis Handschrift. Auf einem kleinen antiken Beistelltischchen stehen Fotografien in polierten Silberrahmen. Es sind die Fotos der Grosseltern der Kinder und es sind die Hochzeitsbilder von Lotti und Aziz. Verblüffend ist, wie unglaublich jung Lotti damals, mit gerade mal neunzehn Jahren, ausgesehen hat. Wohl auch wegen des noch nicht ganz verlorenen Babyspecks. Unter dem weissen Schleier fallen ihre blonden kerzengeraden Haare offen bis auf ihre Hüften.
    Ich zeige Sarah die Würste im Kühlschrank. Sie freut sich königlich, bedankt sich, offeriert mir einen frischen Mangosaft und fragt dann, ob ich Angst vor Hunden hätte. Auf mein Nein hin öffnet sie im Parterre eine Tür, die auf einen kleinen Hinterhof hinausführt, und wird stürmisch von zwei nicht gerade kleinen Hunden begrüsst. Jess, ein brauner Labrador, ist der ältere und grössere der beiden, Noisette ist die jüngere und kleinere und eine Promenadenmischung, deren zotteliges Fell tatsächlich die Farbe einer Haselnuss hat. Jess freut sich riesig, dass Besuch da ist, und lässt sich hinter den Ohren kraulen. Noisette hingegen vermeidet es, in meine Nähe zu kommen.
    «Ihr ehemaliger Besitzer hat sie geschlagen, das ist auch der Grund, warum sie heute bei uns lebt.»
    Nachdem Sarah die beiden Vierbeiner ausgiebig geherzt hat, fragt sie mich, ob es mich störe, wenn sie schnell die Hausaufgaben erledige. Es stört mich überhaupt nicht, im Gegenteil, es gibt mir Zeit, eine Dusche zu nehmen und die verschwitzten Kleider gegen frische zu tauschen.
    Eine Stunde später kommt Aziz, begrüsst mich herzlich, fragt nach meinem Flug und lacht, als ich ihm sage, dass der ein Klacks gewesen sei, verglichen mit der anschliessenden Autofahrt. «Willkommen in Kairo!», meint er und versichert mir, dass Hichem all die Jahre, die er nun schon für ihn arbeite, noch keinen einzigen Kratzer am Auto abgekriegt habe.
    «Du kannst dich also entspannt zurücklehnen!»
    Ob Hichem ihm wohl gesagt hat, dass ich ab und zu die Luft angehalten und manchmal – ob der Verkehrsdichte und Hichems an die hiesigen Verhältnisse bestimmt perfekt angepasstem Fahrstil – ein paar Mal «ui, ui, ui» vor mich hin gekrächzt habe?
    Auf der Fahrt zum Chinesen kann ich mich dann allerdings nicht entspannt zurücklehnen, denn es fährt nicht Hichem, sondern Aziz. Und auch Aziz fährt, positiv ausgedrückt, sehr an die hiesigen Verhältnisse angepasst. Mit Aufblenden der Scheinwerfer und ab und zu auch Hupen quetscht er sich in Lücken rein, und wo eine Ampel auf Rot steht, fährt er, wie alle anderen auch, einfach weiter. Ich zwinge mich, meine Hände nicht in den Sitz zu krallen,

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