Madame Mystique
Macht über sie ausüben. Sie war insofern eine besondere Frau, und Maxine dachte unwillkürlich an ihre Schwester, die sie als Rattenkönigin erlebt hatte. Da hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben erlebt, wie Menschen und Tiere es schafften, eine Verbindung einzugehen.
Es würde etwas passieren, dessen war sie sich sicher. Hier draußen würde sie in den folgenden Stunden bestimmt nicht stehen bleiben, aber sie dachte auch an John Sinclair. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er hier eintraf, auch wenn er bei dem Nebel langsamer fahren musste als normal.
»Da wäre noch etwas, das ich dir sagen muss!«, flüsterte Tabea und lächelte dabei.
»Was denn?«
»Es geht um deinen Schützling!«
Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Maxine hatte verstanden. Und wieder schoss ihr eine heiße Welle ins Gesicht. Sie fragte trotzdem noch einmal nach.
»Um Carlotta?«
»Ja, um sie.«
»Was ist mit ihr?«
»Ich werde sie holen.«
»Nein, nein! Damit hat sie nichts zu tun!«
Tabea Ryder lachte leise. »Doch«, sagte sie dann, »sie hat damit zu tun. Sie, du und Sinclair. Das Trio, das ich mir ausgesucht habe. Wenn diese Nacht vorbei ist, hat sich schon einiges erledigt.«
Maxine konnte nicht mehr sprechen. Okay, sie hatte hingenommen, dass sie in die Falle gelaufen war. Das war sie zwar nicht gewohnt, aber sie würde so leicht nicht aufgeben. Außerdem gab es John Sinclair noch im Hintergrund.
Bei Carlotta sah das anders aus. Sie war ihr Schützling. Maxine liebte sie. Sie fühlte sich für das Vogelmädchen verantwortlich. Sie hielt es zwar nicht vor aller Welt versteckt, aber ihr Geheimnis kannten nur wenige. Wenn der Plan der Autorin tatsächlich gelang, dann würde sie es an die Oberfläche zerren und mit Carlotta womöglich noch Geschäfte machen.
Jetzt war ihr auch klar, worum es ging. Zuerst mussten zwei Gegner ausgeschaltet werden, um besser an den eigentlichen Grund heranzukommen. Eine simple Rechnung.
Und sie schien aufzugehen. Maxine sah jedenfalls keine Chance, diesem Dilemma zu entkommen.
»Dreh dich um!«
»Und dann?«
»Du sollst dich umdrehen!«
Wieder überlegte Maxine, ob sie es wagen sollte. Sie war bereit, dann aber erwischte sie der Blick des linken Auges. Und jetzt erkannte sie endlich die Farbe.
Das Auge leuchtete grün!
Kein helles, sondern ein dunkles Grün, in das noch graue Schatten hineingetaucht waren. Aber auch gelbe Punkte sprühten darin. Mit einem menschlichen Auge hatte das nichts zu tun. Es war wie eine Botschaft, der Maxine nicht entrinnen konnte.
Ihr Widerstand sank sofort zusammen. Ihr war der eigene Wille genommen worden, und sie tat genau das, was man von ihr verlangte. Sie drehte sich um und wandte Tabea den Rücken zu.
»Und jetzt kannst du gehen!«
»Wohin?«
»Wieder zurück in den Stall.«
»Gut!«
Maxine ging, und sie bewegte sich dabei wie auf Eiern laufend. Sie hielt den Körper sehr aufrecht. Sie lauschte, sie schaute so gut wie möglich. Sie hoffte, die Stimme ihres Freundes John Sinclair zu hören oder zumindest das Geräusch eines anfahrenden Autos, aber auch das blieb leider aus.
Wieder zog sie das Tor auf. Maxine sah Tabea nicht. Sie wusste allerdings schon, dass sie hinter ihr stand, und sie merkte ein Kribbeln auf dem Rücken. Ob es an der Angst lag, am Druck in ihrem Innern, an der Furcht vor der Zukunft, das wusste sie nicht. Da kam einiges bei ihr zusammen.
Maxine Wells hatte schlimme Dinge erlebt. Sie war immer wieder davon gekommen. Und sie hatte auch gewusst, um was es dabei gegangen war. Hier konnte sie nur raten, und der Begriff Abrechnung oder alte Rache war ihr einfach zu wenig.
Sie zerrte das Tor des Stalls auf. Sie ging hinein – und bekam die nächste Anweisung zu hören.
»Nach links!«
Das hatte sich Maxine schon gedacht. Diesmal ging es also in die andere Richtung. Ihr Herz klopfte wieder schneller. Die Augen brannten, im Mund spürte sie einen widerlichen Geschmack, als hätte sie zuvor auf einem alten Lappen gekaut, aber sie wusste auch, dass sie da jetzt durchmusste und selbst nichts verändern konnte.
An der rechten Seite hatte sie der Weg an den Pferdeboxen vorbeigeführt. Sie rechnete damit, dass dies auch jetzt passieren würde. Ein Stall war eingeteilt und unterteilt, das alles stellte sie sich vor, aber sie wunderte sich, dass dies hier nicht der Fall war.
Eine schwache Birne streute von der Decke her ihr Licht nach unten, und in ihrem Schein malte sich vor Maxine der Umriss einer Tür ab, die darauf wartete,
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