Madame Mystique
die Eulen zuckten zusammen. Sie veränderten ihre Haltungen nicht, aber sie wussten genau, dass der Pfiff sie gemeint hatte.
Ich rechnete damit, sie bald los zu sein, musste allerdings noch bis zum zweiten Pfiff warten, bevor abermals der Ruck durch die Körper schoss und die Vögel den Ruf jetzt verstanden hatten. Sie stießen sich ab, den Gegendruck bekam ich noch zu spüren, dann breiteten sie ihre Schwingen aus und stiegen hoch in die neblige Luft, in der sie sehr bald verschwunden waren.
»Rühr dich nicht!«, zischte mir Rhonda zu.
»Nein, nein, keine Sorge. Ich weiß, dass du nicht vorbeischießen wirst.« Ich hatte wirklich nicht daran gedacht, irgendetwas zu unternehmen, denn was nun folgen würde, war viel wichtiger.
Es war nicht bei dem Pfiff geblieben, denn links von mir und noch vom Nebel zum Großteil verborgen, bewegte sich eine Gestalt. So wie sie kam, sah es unheimlich aus. Ein Regisseur hätte sie Szene nicht besser einstudieren können.
Sie kam, und ich hörte keinen Laut. Sie musste über den Boden schweben, aber auch das konnte bei diesem verdammten Nebel täuschen.
Ich hörte nichts, aber ich spürte etwas.
Das Kreuz an meiner Brust erwärmte sich.
Und zwar genau in der Mitte!
***
Maxine Wells war so überrascht, dass sie sogar vergaß, Luft zu holen. Der Anblick der drei Leoparden hatte sie einfach überwältigt. Sie war eine Tierfreundin, sie kam mit den Vierbeinern perfekt zurecht, aber hier sah es anders aus.
Mit Raubkatzen hatte sie noch nie im Leben zu tun gehabt. Zudem wusste sie nicht, ob die drei Leoparden hungrig oder satt waren, das sah sie ihnen nämlich nicht an.
Sie lagen auf dem Boden. Sie wurden von keiner Leine gehalten. Aber sie lagen nicht nur, sie fläzten sich auch. Sie streckten sich, sie sahen so verträumt aus, und einer von ihnen öffnete sein Maul, um die Frau anzugähnen.
Die Tierärztin ließ sich nicht täuschen. Die Ruhe konnte auch nur rein äußerlich sein. Denn es war möglich, dass die Tiere von einem Augenblick zum anderen ihr Verhalten änderten und in Maxine plötzlich ein neues Ziel und Opfer sahen.
Wie verhielt man sich in einer derartigen Lage?
In der Theorie hätte sie alles sagen können. Da lagen die Dinge so einfach. Aber in der Praxis sah es anders aus. Plötzlich spielten die echten Gefühle eine Rolle. Erklärungen konnte man sich sparen. Es war zunächst wichtig, die Ruhe zu bewahren. Keine falschen und auch keine hektischen Bewegungen.
Diese und ähnliche Gedanken wirbelten durch ihren Kopf, und die schaffte es auch, ruhig zu bleiben.
Selbst das heftige Atmen hatte sie eingestellt. Keine unnötigen Geräusche. Die Ruhe musste es bringen. Wenn sie ruhig blieb, dann gab es auch keine Gründe für die drei Leoparden, sie zu attackieren.
Sehr viel Interesse zeigten sie nicht an ihr. Sie gähnten auch weiterhin oder leckten über ihr Fell hinweg. Sie wirkten stolz und lässig zugleich. Wunderbare Tiere, die Maxine auch sehr mochte, denn sie liebte Katzen, auch wenn es Raubkatzen waren.
Nur durften sie nicht in falsche Hände geraten, dann konnte es gefährlich werden. Die Tierärztin ließ sich auch nicht von der Ruhe täuschen. Sie hielt nicht ewig an. Von einem Augenblick zum anderen konnte sie vorbei sein. Da brauchten sie nur mal durch irgendetwas gestört zu werden.
Der erste Schreck ging auch bei ihr vorbei, so dass sich Maxine jetzt wieder auf die Umgebung außerhalb der Leoparden konzentrieren konnte. Es gab keine anderen Tiere hier im Stall. In einer Ecke lagen Fleischreste und auch Knochen. Es gab ein paar Kisten, auch Werkzeuge wie langstielige Besen und Schaufeln. Eine Mistgabel entdeckte sie nicht, dafür eine kleine Karre, in die man Kinder setzte, um sie hinter sich herzuziehen. Alles hier sah so aus, als wäre es von den Menschen vergessen worden. Niemand würde sich darum kümmern. Der Teil des Stalls war als Heim für die Leoparden gedacht.
Maxine hielt in der schwachen Beleuchtung zudem nach einem zweiten Ausgang Ausschau. Sie hoffte darauf, eine Seitentür zu finden, durch die sie im Notfall entwischen konnte. Da hatte sie Pech. Es gab die Tür nicht. Sie musste sich schon auf die eine verlassen.
Gewöhnt hatte sie sich an den Anblick nicht, doch sie fand einen Teil ihrer Ruhe wieder. Sie überlegte, wie sie dieser Falle entkommen konnte. Zunächst musste sie ruhig bleiben und auf keinen Fall durch hektische Bewegungen die Aufmerksamkeit der Tiere auf sich lenken. Nur die Ruhe brachte es. Viele Bilder schossen
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