Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)
stehen«, sagte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Man hält nur solche Leute für normal, die man nicht gut genug kennt«, sagte sie und lächelte auf die gleiche Weise wie Justin. Sie hatte sogar die gleichen Grübchen. »Du brauchst nur ein bisschen Erholung, das ist alles.«
Ich legte mich im Gras auf den Bauch und begann Gedichtzeilen auf den Fußweg zu schreiben, wie ich es mir im Center vorgestellt hatte. Elaine half mir dabei. Wir blätterten durch Werke von Frost, Wordsworth, Rumi und Shakespeare und zeigten uns gegenseitig unsere Lieblingsstellen. Wir malten Worte in rot, gelb und grün, bis unsere Finger von der Kreide so bunt wie bekleckste Pinsel waren. Ich merkte erst, dass Justin neben uns stand, als er sich räusperte. Dann blinzelte ich gegen das Sonnenlicht zu ihm hoch.
»Hier ist dein Geburtstagsgeschenk«, sagte er. »Sorry, dass es zu spät kommt, aber im Center damit aufzutauchen, wäre etwas schwierig gewesen.« Er hatte die Hand um den Stamm einer Pflanze gelegt, die neben ihm auf dem Boden stand und ihm bis zu den Schultern reichte. Die Wurzeln waren sorgfältig in Sackleinen gewickelt.
Ich stand auf und schaute mir mein Geschenk näher an. Der Stamm war so dünn, dass ich die Finger vollständig darum schließen konnte. Er wirkte schwach und zerbrechlich. Das Gewächs war echt, so viel erkannte ich an den zarten kleinen Blättern und dem erdigen Geruch der Wurzeln.
Ich schaute zwischen Justin und der Pflanze hin und her. »Die ist für mich?«, fragte ich.
Er betrachtete mich amüsiert und nickte.
»Äh … danke«, sagte ich und wollte sie ihm abnehmen, aber ihre Form machte das Hochheben kompliziert. Ich kratzte mich am Kopf. »Sollten wir sie nicht ins Haus bringen?«, fragte ich.
Elaine schnaubte.
»Das ist ein Baum«, informierte mich Justin. »Ich dachte, du könntest ihn pflanzen. Deine Spur hinterlassen, der Welt deinen Stempel aufdrücken …«
Ich nickte langsam und ging um den Baum herum. »Was stimmt mit ihm nicht?«, fragte ich. »Er sieht aus, als ob er schon fast tot ist.«
»Tot?«, fragte Justin.
»Ja, so dürr und kahl. Ist er krank?«
Justin versuchte ein Lächeln zu unterdrücken.
»Hey, ich hatte keine Botanikkurse in der DS «, sagte ich. »Damit kann man heutzutage wenig anfangen.«
»Der Baum ist noch nicht ausgewachsen«, erklärte er. »Als Setzlinge sehen sie immer so aus.«
»Wow.« Ich zupfte an einem der Äste. »Kein Wunder, dass die Leute nicht mehr die Geduld haben, welche zu pflanzen. Da kann man ja ein ganzes Leben warten, bis sie richtig groß sind.«
Justin vergrub die Hände in den Haaren und Elaine schnaubte wieder.
»Eigentlich fangen sie als Samenkörner an«, sagte sie. »Stell dir das mal vor.«
Justin griff nach dem dürren Stamm. »So sollten richtige Bäume aussehen – nicht wie diese ausgewachsenen Monstrositäten aus Plastik, die man sich in Einzelteilen nach Hause liefern lässt und im Garten montiert wie kitschige Riesengartenzwerge«, sagte er.
»Könnte es sein, dass du ein bisschen verbittert bist?«, fragte ich.
Neugierig betrachtete ich den braunen, glatten Stamm und die dünnen Äste, an denen winzige, malvenfarbene Blätter saßen. Je länger ich mir den Baum anschaute, desto deutlicher fühlte ich eine Verbindung zu ihm, als würden wir beide darauf warten, endlich ein gutes Stück Erde zu finden, wo wir Wurzeln schlagen und uns entfalten konnten.
»Wollen wir ihn sofort pflanzen?«, fragte ich. Justin nickte und hob den Baum dicht über den Wurzeln hoch.
»Such dir einen Platz aus«, sagte er und folgte mir in den Garten. Ich musterte den Rasen so eingehend, wie ein Kunstkritiker ein Gemälde begutachten würde und nach Struktur, Tiefe und Schattierung suchte. Erst als ich die gesamte Fläche abgegangen war, traf ich eine Entscheidung. Ich versuchte mir vorzustellen, wo er sich am wohlsten fühlen und am besten wachsen würde. Zuletzt wählte ich einen Punkt östlich vom Haus, der auf einem kleinen sonnigen Hügel lag, von dem aus man das Meer sehen konnte. Auch die Straße war nah genug, um das Treiben dort zu beobachten. Tagsüber konnte man dem Kommen und Gehen der Leute zuschauen und nachts in die Sterne gucken. Wenn ich mir selbst einen Platz auf der Welt hätte aussuchen sollen, um Wurzeln zu schlagen, hätte ich diesen gewählt.
»Hier«, sagte ich und zeigte mit dem Fuß auf den richtigen Punkt.
Justin stellte den Baum ab und lief zur Garage, wo er einen Spaten und ein Paar Arbeitshandschuhe holte.
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