Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)
behalten.«
»Bei mir war es das erste Mal. Ich meine, dass jemand so etwas zu mir gesagt hat.«
Ich blieb ruckartig stehen. Er ging einfach weiter und warf nur einen Blick über die Schulter. Seine Miene wirkte gleichgültig, als würde ihn das Thema kaum berühren. Als sei Liebe wie irgendein Punkt auf der Landkarte, den man ansteuern oder an dem man vorbeifahren konnte, ohne dass es einen Unterschied machte. Wenn man Liebe nie kennengelernt hat, kann man auch nicht wissen, was man verpasst.
»Aber was ist mit deinen Eltern? Haben sie es dir nie gesagt?«
Er runzelte die Stirn und dachte nach. »Vielleicht als ich klein war. Wir sprechen eben nicht darüber. Ich würde sagen, solche Gefühle werden irgendwie vorausgesetzt.«
»Vorausgesetzt?«
»So klappt die Zusammenarbeit am besten.«
»Zusammenarbeit?«, wiederholte ich. »Ihr seid eine Familie, keine Firma.«
Er grinste mich an und ich setzte mich wieder in Bewegung. Eine Weile schwieg ich, während ich versuchte, mit dieser fremdartigen Sichtweise klarzukommen.
»Ich möchte dich etwas fragen«, sagte er. »Woher weiß man, ob man jemanden liebt?«
Bei seinen Worten hatte ich das Gefühl, als würde ich innerlich welken. Wollte er mich zurückstoßen?
»So etwas braucht man sich nicht zu fragen. Man weiß es einfach. Das ist wie bei der Religion … man glaubt, dass es einen Gott gibt, kann es aber nicht erklären. Niemand kann behaupten, dass man unrecht hat. Manche Dinge existieren nun einmal.«
»Glaubst du, diese Gefühle sind nur eine Phase?«, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. »Wenn die Liebe echt ist, hört sie nicht einfach wieder auf. Genauso wenig wie man seinen Glauben verliert, nur weil man ein paar Wochen nicht zur Kirche geht. So etwas ist unvergänglich.« Ich neigte den Kopf zur Seite. »Hast du etwa noch nie jemandem gesagt, dass du ihn liebst?«
»Nein«, sagte er. »Noch nie.«
Ich konnte ihn nur mit offenem Mund anstarren. »Ehrlich?«, fragte ich.
Meine Reaktion brachte ihn zum Lachen. »Na und?«
»Das ist unglaublich.«
»Wieso? Ich habe es eben noch nie gespürt. Manche Gefühle hat man einfach nicht im Repertoire. Und wenn ich es nicht spüre, dann sage ich es auch nicht.«
»Du glaubst, du bist gegen Liebe immun?«, fragte ich.
»Ich bin nicht sicher. Vielleicht fehlt mir die Fähigkeit dazu. Schließlich gibt es auch Leute, die nie eifersüchtig werden. Und andere werden nie wütend. Ich habe immer gedacht, Liebe sei wie ein Besitz, den man mit sich herumschleppen muss. Oder als sei man das Eigentum des anderen. Jedenfalls verliert man seine Unabhängigkeit. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich solche Gefühle nie hatte.«
Eine bleischwere Stille breitete sich zwischen uns aus. Viel zu spät wurde mir klar, was er die ganze Zeit zu sagen versuchte. Ich hätte lieber den Mund halten sollen, statt eine kitschige Hymne auf die Liebe zu singen, denn damit hatte ich mir selbst den Gnadenstoß verpasst. Es war klar, dass Justin nicht dasselbe für mich empfand.
Eine Reihe von ZipShuttles zischte vorbei. Sie waren voller Leute, die ebenfalls von der Party kamen. Ich wollte dringend einer von ihnen sein, statt in meiner eigenen Haut zu stecken. Jede Fluchtmöglichkeit wäre mir recht gewesen. Ich wollte mich aus meinem Leben ausloggen, auf die Löschtaste drücken, vorwärts spulen bis zu einem anderen Tag.
»Weißt du, ich wollte dir schon länger etwas sagen«, brach er das Schweigen. »Deshalb bin ich nach L.A. gekommen. Ich finde, eine Fernbeziehung hat wenig Sinn und wir sollten diesen Zustand nicht unnötig in die Länge ziehen.«
Ich nickte, konnte ihm aber nicht ins Gesicht schauen. Das Blut schoss mir in die Wangen, weil ich so wütend und gedemütigt war, und gleichzeitig fühlte sich meine Haut eiskalt an. Jetzt begann alles einen Sinn zu ergeben. Deshalb hatte er seit Wochen keinen Kontakt zu mir aufgenommen. Ihm war klar geworden, dass unsere Beziehung nicht halten würde. Er hatte nie gesagt, dass er mich liebte, weil er solche Gefühle eben nicht empfand. Vielleicht hatte er recht und er war gar nicht dazu fähig. Bevor er mit mir Schluss machte, hatte er sich eine Weile ferngehalten, damit die Gefühle abkühlen konnten. Und er hatte den Anstand besessen, herzukommen und mir seine Entscheidung persönlich mitzuteilen – auch wenn es mir lieber gewesen wäre, er hätte einfach nur eine SMS geschickt.
Ich begann schneller zu laufen. Irgendwo in der Nähe musste es eine Bahnstation geben.
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