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Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)

Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition)

Titel: Maddie - Der Widerstand geht weiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Kacvinsky
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Stimme. »Das Schlimmste habe ich also überstanden. Und bisher ist es ihnen nicht gelungen, mich zu brechen.«

Kapitel Zweiundzwanzig
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    »Sie hatte ein Online-Begräbnis«, sagte er.
    Justin und ich saßen auf einem Felsen oberhalb des Strandes. Eine sanfte Brise wehte. Die Luft war feucht und roch nach nahem Regen. Der Himmel war schwarz und ohne Sterne.
    Justin zog die Schirmmütze so tief, dass sie seine Augen überschattete. Ich starrte stumm geradeaus, weil ich nicht wollte, dass er zu sprechen aufhörte. Ein einziges falsches Wort konnte diesen Moment zerstören, also sagte ich nichts.
    »Kristins Begräbnis, meine ich«, fuhr er fort. »Die ganze Zeremonie war virtuell.« Er redete langsam. Zum ersten Mal wurde mir klar, dass Justin nur dann die Worte fehlten, wenn er über ein Thema noch nie zuvor gesprochen hatte.
    »Ich war noch nie bei einem Begräbnis gewesen und wusste nicht, was ich zu erwarten hatte. Ihre Familie hatte eine Website für den Trauergottesdienst eingerichtet, auf der man sich einloggen konnte, um Kommentare und Feedback abzugeben. Man konnte Fotos von ihr ins Netz stellen, Geschichten austauschen und eine Diashow anschauen. Es gab ein Forum. Es gab Werbung. Von ihrem Leben blieb nichts übrig als eine Reklamesite.«
    Sein Körper war so angespannt, dass er wie versteinert wirkte. Er versuchte, ruhig zu bleiben, aber ich hörte den Unterton von Bitterkeit, als würde ein verborgenes Gift seinen Weg nach draußen finden.
    »Eine Trauer-Website zu erstellen ist ziemlich simpel«, sagte er. »Nach Kristin’s Tod habe ich mir angeschaut, wie so etwas funktioniert. Man bekommt eine einfache Anleitung in zehn Schritten und braucht ungefähr eine halbe Stunde.«
    Ich nickte und hörte zu.
    »Das hat mich einfach krank gemacht. Sind Menschen heutzutage nicht mehr wert als dreißig Minuten? Niemand reist mehr zu einem Begräbnis. Persönlich zu kommen, wäre ein Opfer, das man von der Verwandtschaft nicht erwarten kann. Mit der Wirklichkeit will eben keiner belästigt werden.« Er schwieg einen Moment. Seine Miene war grimmig. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also drückte ich nur seine Hand.
    »So gefühllos sind wir schon geworden«, sagte er. »Eigentlich gibt es nur eines, vor dem ich wirklich Angst habe. Nämlich, dass wir andere Menschen irgendwann als wertlos betrachten. Damit werde ich mich niemals abfinden. Wenn es tatsächlich so weit kommt, dass unsere Mitmenschen uns egal sind, worin liegt dann noch der Sinn? Wofür leben wir überhaupt?« Er stieß einen heftigen Seufzer aus. »Das Begräbnis hat mich wachgerüttelt. In mehr als einer Hinsicht. Die Menschen kümmern sich nicht mehr umeinander, solange sie leben … also warum sollten sie sich für eine Verstorbene besondere Mühe machen?«
    Als meine Großmutter gestorben war, hatten wir auch ein Online-Begräbnis organisiert. Auf diese Weise konnten mehr Leute teilnehmen. Es war bequem, weil niemand von der Verwandtschaft quer durchs Land zu reisen brauchte. Es war wirtschaftlich, weil niemand sich von der Arbeit freinehmen oder Geld für ein Flugticket ausgeben musste. Die Kinder verloren keinen Schultag, die Eltern brauchten ihre Termine und Pläne nicht extra umzuwerfen. Es war praktisch. Mir war nie der Gedanke gekommen, dass ein Begräbnis vielleicht persönlicher sein sollte. Bis jetzt.
    »Das alles war doch nicht deine Schuld«, sagte ich.
    »Nur meinetwegen war sie da. Ich habe sie zu der Protestveranstaltung gebracht und sie auf der Treppe stationiert. Genau über der tickenden Bombe.«
    »Weißt du noch, was du einmal zu mir gesagt hast? Manchmal sind Menschenleben nötig, um etwas zu beweisen.«
    Ich hörte, wie er gequält Atem holte.
    »Es war nicht deine Schuld«, wiederholte ich. »Justin, du kannst nicht jeden retten.«
    Er nickte, als wäre er endlich bereit, sich mit dieser Wahrheit abzufinden.
    »Jetzt verstehe ich jedenfalls, warum der Kampf gegen das DS -System für dich so persönlich ist«, sagte ich. »Ist das bei dir immer der Antrieb? Brauchst du erst einen persönlichen Schicksalsschlag, um zu entscheiden, was du mit deinem Leben anfangen willst?«
    Er ließ sich auf den Rücken sinken, verschränkte die Hände vor der Brust und schaute zum Himmel hinauf.
    »Du stellst wirklich keine leichten Fragen«, sagte er und warf mir einen Blick zu.
    »Das ist doch der Sinn einer Unterhaltung«, sagte ich und musste lächeln. Noch vor einem Jahr hätte ich das Gegenteil behauptet: je oberflächlicher,

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