Made in Germany
kein Samba, aber dafür, dass sie den Krieg verloren haben, ist es nicht schlecht!”
Eigentlich müsste ich glücklich sein, in Deutschland aufgewachsen zu sein und nicht in der Türkei, denn in der Heimat meiner Eltern wird viel weniger gefeiert als hier: Opferfest, Fastenbrechen, hin und wieder mal eine Beschneidung – und das war es auch schon fast.
In Deutschland ist dagegen immer was los! Neben den vielen offiziellen Feiertagen wie Weihnachten,
Ostern und Tag der deutschen Einheit gibt es unfassbar viele weitere Feieranlässe, bei denen man sich nach Herzenslust bedienen kann, unter anderem:
Das Münchner Oktoberfest (September/Oktober),
den Kölner Karneval (ab 11. November),
verschiedene Schützenfeste
(genaue Termine in der Tagespresse),
den Tag des Kindes (20. September),
den Tag der Briefmarke
(letzter Sonntag im Oktober),
den Tag der Jogginghose
(erstmals 21. Januar 2010),
oder auch den Tag des unfreundlichen Türstehers
(Hakans Geburtstag).
Schon in meiner Kindheit wurde in ganz Deutschland überall viel und fröhlich gefeiert. Jung und Alt, Ost und West, Arm und Reich – alle waren voll dabei! Es gab nur eine einzige Ausnahme: Familie Yanar.
Bei uns war nie Feierstimmung. Silvester ging mein Papa um zehn Uhr abends ins Bett. Und wir durften noch eine halbe Stunde länger aufbleiben. Man kann sich das kaum vorstellen, aber es ist wahr: Ich habe mit 25 Jahren meine erste Luftschlange gesehen!
Mein Vater hatte keine Ahnung vom Feiern, und er hatte auch kein Interesse daran. Wenn er gekonnt hätte, hätte er seine eigene Beschneidung geschwänzt! Dabei hatten wir die besten Voraussetzungen für einen vollen Partykalender. Denn wir hatten Grund, sowohl die islamischen als auch die christlichen Feste zu feiern. Und das kam so:
Als mein Bruder und ich eingeschult wurden, musste mein Vater sich entscheiden, in welchen Religionsunterricht
wir beide gehen sollten. Damals, 1979, gab es nur zwei Möglichkeiten: evangelischen oder katholischen Unterricht. Das hat meinen Vater komplett überfordert. Er stand vor der Lehrerin und fragte: „Hä?”
Die Lehrerin erklärte es ihm: „Sehen Sie, Herr Yanar, es gibt katholischen und evangelischen Religionsunterricht, wobei beides christliche Konfessionen sind, die …”
„Hä?”
Sie erklärte es ihm noch einmal: „Schauen Sie, Herr Yanar, es gibt katholischen und evangelischen Religionsunter...”
„Hab ich richtig verstanden? Gibt es zwei Religion hier, hä? Kathelisch und evangolisch?”
„Katholisch und evangelisch, Herr Yanar!”
„Und ich muss jetzt entscheide, welche die von beide? Ich hab keine Ahnung. Erkan, du gehst kathelisch. Und Kaya, du gehst evangolisch.”
„Kathelisch”. „Evangolisch”. „Arschkopf”. So war mein Vater.
Es klingt zwar lustig, aber es ist die Wahrheit: Mein Vater schickte tatsächlich meinen Bruder zu den Katholiken und mich zu den Protestanten. Da saß ich ohne Erkan zwischen all den kleinen evangelischen Deutschen, und die Lehrerin fragte mich: „Kaya, wo ist denn dein Bruder?” Und ich antwortete wie ein echter, aufrechter Protestant: „Bei den Scheißkatholiken!”
Mein Vater wurde erneut in die Schule zitiert und gefragt: „Herr Yanar, Erkan ist bei den Katholiken, Kaya bei den Protestanten … wieso haben Sie sich für einen so … komplizierten Weg entschieden?”
„Wollte nix falsch machen!”
„Gut, aber wir glauben, dass das für die beiden Geschwister eine eher unglückliche Konstellation ist!”
„Kein Problem, Lehrerin! Dann tauschen die beiden! Erkan wird evangolisch, und Kaya wird kathelisch!”
In Glaubensfragen waren wir also eine echte Patchworkfamilie: Meine Mutter war Muslimin, mein Bruder Katholik, ich Protestant, und meinem Vater war alles scheißegal. Neben den vielen Nachteilen, die so eine religionsgemischte Gemeinschaft mit sich bringt (verschiedene Lieder, getrennte Pfarrbüchereien, irgendeiner von uns musste immer fasten), hätten wir auch den riesigen Vorteil dieser Konstellation nutzen sollen: Wir waren nämlich die einzige Familie im ganzen Viertel, die sowohl den muslimischen Ramadan als auch den evangelischen Reformationstag und den katholischen Fronleichnam hätte feiern können! Wenn wir die Feiertage aller drei Religionen ausgenutzt hätten, hätten wir überhaupt nicht mehr in die Schule gehen müssen!
Aber das Gegenteil war der Fall: Wir feierten gar nicht. Ostern war für uns zum Beispiel ein ganz normales Wochenende. Keine Osterdekoration, kein
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