Madita
gehen, wo die Gespenster so dicht wie Spargel stehen, das möchte sie nicht.
»Gibt es denn keine andere Stelle, wo nicht ganz so viele sind?« fragt sie.
Abbe mustert sie durchdringend mit seinen hellen blauen Augen.
»Bist du etwa feige?«
Madita druckst herum und antwortet nicht. Es wäre schrecklich, wenn Abbe sie für feige hielte, aber noch schrecklicher wäre es, mitten in der Nacht auf den Friedhof zu gehen.
Abbe guckt sie mit seinen hellblauen Augen fest an.
»Klar, wir könnten es auch woanders ausprobieren«, sagt er dann und klatscht einen Kringel auf das Kuchenblech. »In
unserm Waschhaus zum Beispiel, da spukt’s, daß es nur so
knistert.«
»Ach!« ruft Madita verblüfft. In Nilssons Waschküche ist sie schon oft gewesen, aber noch nie hat sie da auch nur das
allerkleinste Gespenst oder den winzigsten Spuk gesehen ...
Stimmt es am Ende doch, daß sie nicht hellsichtiger ist als ein Ferkel?
»Ich glaub zwar kaum, daß es sich lohnt«, sagt Abbe, »aber sicherheitshalber könnte man es ja ausprobieren. Wie war’s mit heute nacht?«
Madita druckst wieder herum.
»Muß es denn nachts sein?«
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»Ja, was glaubst du denn? Bildest du dir ein, das Gespenst lungert da andauernd rum und hilft Mutter beim Waschen?
Nee du, nachts um zwölf, das ist die Geisterstunde, und dann kommt es auch, aber keine Minute früher.«
»Weshalb wohnt es denn in eurer Waschküche?« fragt Ma-
dita.
Abbe schweigt eine Weile, dann sagt er:
»Na, von mir aus kannst du auch gleich alles erfahren. Obwohl es eigentlich geheim ist. Aber du mußt mir versprechen, es keinem Menschen zu sagen.«
Madita bekommt vor Aufregung eine Gänsehaut. Sie plaudert bestimmt kein Geheimnis aus, und das weiß Abbe auch, und
darum erzählt er nur ihr ganz allein von dem Gespenst in der Waschküche. Etwas Tolleres hat Madita noch nie gehört. Dieses Gespenst ist nämlich niemand anders als Abbes eigener Ururgroßvater, der vor hundert Jahren gelebt hat und der
allerreichste Graf gewesen ist, den man sich vorstellen kann.
Abbe ist sozusagen selber ein Graf, obwohl er auch das ge-heimhält.
Madita staunt ihn mit runden Augen an. Hat man Töne!
»Und kannst du dir denken«, sagt Abbe, »warum mein Urur-
großvater keine Ruhe gibt wie andere tote alte Grafen? Nee du, jede Nacht rumort der in der Waschküche rum! Und weißt du, warum?«
Madita weiß es nicht, aber Abbe kann ihr auch das erklären. Er war ja so klotzig reich, dieser Graf, und darum vergrub er einen Riesenbatzen Geld in seinem Brauhaus, das Tante Nilsson
jetzt als Waschküche benutzt.
»Nur so aus Jux, verstehst du«, sagt Abbe. »Die Banken hatte er schon so vollgestopft mit Geld, daß da einfach kein Platz mehr war, und da fiel ihm das Brauhaus ein. Aber kaum hatte 91
er die Moneten da vergraben, da legte er sich hin, und bums war er tot. Und darum macht er sich jetzt Sorgen und spukt da rum.«
Madita schnappt nach Luft.
»Glaubst du, daß das Geld noch da ist?«
»Klar ist es noch da«, sagt Abbe.
Madita starrt ihn an.
»Aber warum gräbst du es dann nicht aus?«
»Grab’s doch selber aus, dann wirst du schon merken, wie
leicht das geht«, sagt Abbe. »Weißt du überhaupt, wo du
graben müßtest?«
Nein, das weiß Madita nicht.
»Na also!« sagt Abbe.
Madita sieht ihn an, als hätte sie ihn noch nie gesehen. Man stelle sich vor, hier steht er und backt Kringel, und dabei ist er in Wirklichkeit ein Graf und hat einen Ururgroßvater, der auch ein Graf ist und ein Gespenst obendrein!
»Wie heißt der Spuk denn? Dein Ururgroßvater, meine ich.«
Abbe hört mitten im Kringeldrehen auf. Als er schließlich antwortet, klingt es, als läse er es aus einem Buch vor.
»Und sein Name lautete Graf Abbe Nilsson ... Krähenkralle«, sagt Abbe.
Das klingt so vornehm und so schauerlich, daß Madita eine Gänsehaut kriegt, als sie es hört.
»Ein Glück, daß unsereins nicht hochnäsig ist«, sagt Abbe.
»Hochwohlgeborener Herr Graf Abbe Nilsson Krähenkralle -
so müßtest du mich eigentlich anreden. Aber mir ist so was schnuppe. Sag du ruhig Abbe zu mir wie immer!«
»Ja, denn sonst kann ich gar nicht mehr mit dir reden«, sagt Madita. »Aber wenn du es möchtest, dann kann ich dich ja ab und zu mal mit ›hochwohlgeborener Abbe‹ anreden.«
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Aber das möchte Abbe nicht. Das einzige, was er möchte, ist, daß Madita heute nacht um zwölf zum Waschhaus mitkommt.
Denn wenn es sich nun herausstellen sollte, daß sie doch
hellsichtig ist, dann
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