Madita
nicht
gleich den Stab über andere brechen soll. Vielleicht meinte Papa damit, daß man Onkel Nilsson nicht böse sein soll, wenn er samstags betrunken ist. Madita ist ihm gar nicht böse, denn Onkel Nilsson ist immer nett zu ihr und nennt sie »die kleine Maditt auf Birkenlund«, und er ist auch nie häßlich zu Abbe oder Tante Nilsson.
»Hier zu Haus in Waldesruh will ich meine Ruh haben«, sagt Onkel Nilsson und legt sich auf die Küchenbank. »Man kann sich schließlich nicht dauernd nur für Frau und Kinder abrak-kern, mal muß man sich auch ausruhen!«
Und Tante Nilsson versteht, daß Onkel Nilsson Ruhe braucht.
Nur manchmal versteht sie es nicht. Wenn der Müllfahrer
kommt, dann will Tante Nilsson den Mülleimer nicht bis zur Gartenpforte tragen, das muß Onkel Nilsson tun. Und das tut er gar nicht gern.
86
Hinterher liegt er dann auf der Küchenbank und redet eine ganze Weile kein Wort mit Tante Nilsson. Er starrt nur zur Decke und brummt traurig vor sich hin:
»Da ist man nu Hausbesitzer und Grundeigentümer noch
obendrein, aber den Mülleimer muß man trotzdem über den
Hof schleppen.«
Aber wenn Onkel Nilsson Grammophon spielt und mit Tante
Nilsson tanzt und Abbe am Backbrett steht und backt und es in ganz Waldesruh nach frisch gebackenen Zuckerkringeln duftet, dann ist es gemütlich in Nilssons Küche. Alva, die Madita manchmal abholt, behauptet zwar, daß es dort schmutziger
und schlampiger wäre als in irgendeiner Küche, die sie je in ihrem Leben gesehen hätte – aber wie viele Küchen hat Alva denn schon gesehen? Es kann natürlich sein, daß Nilssons
nicht so oft ausfegen und nur dann abwaschen, wenn es
unbedingt sein muß, aber Madita findet, daß es dort trotzdem ganz fein ist. Tante Nilsson hat bestickte Küchenborten, und die hat sie selber bestickt. »Ordnung ist das halbe Leben« und
»Ein jeglich Ding hat seinen Platz« steht in roter Kreuzstickerei auf den Borten, und auf der längsten steht »Hab Sonne im
Herzen, ob’s stürmt oder schneit«.
»Nächstens muß ich sie mal abnehmen und waschen«, sagt
Tante Nilsson, »dann kann man besser lesen, was drauf-
steht.«
»Ach was, du liest es ja doch nicht«, sagt Onkel Nilsson, und dann faßt er Tante Nilsson um die Taille und tanzt mit ihr und singt dazu:
»Komm, Adolfina,
komm, Adolfina,
lehn deine Wang’ an meine Wang’,
komm, Adolfina,
87
komm, Adolfina,
walz, ja walz mit mir stundenlang...«
»Hach, was du rumalbern kannst«, sagt Tante Nilsson und
lacht, daß ihr der Bauch wackelt. Und Abbe steht am Backbrett und pfeift »Komm, Adolfina« und dreht seine Kringel im Takt dazu.
Am allerschönsten ist es aber, wenn Madita und Abbe allein in der Küche sind. Abbe weiß eine Menge und erzählt so gut,
während er backt.
Madita sitzt auf der Küchenbank und hört ihm zu. Alles, was sie Lisabet von Gespenstern und Mördern erzählt, das hat sie
vorher von Abbe gehört.
Mörder sind Abbe bisher allerdings nur etwa drei über den Weg gelaufen, aber Gespenster hat er massenhaft gesehen.
Madita hat noch nie eins gesehen.
»Das liegt eben dran, daß ich hellsichtig bin«, erklärt Abbe.
»Und das muß man sein, sonst sieht man keine Gespenster.«
Hellsichtig ... das Wort hat Madita noch nie gehört, aber Abbe erklärt es ihr. Ist man hellsichtig, dann hat man ganz besondere Augen und kann Gespenster und Spuk sehen, wo ein
gewöhnlicher Mensch überhaupt nichts sieht. Abbe staunt
selber darüber, daß das so verschieden sein kann.
»Ich versteh das einfach nicht: Ein gewöhnlicher Mensch kann direkt in ein Gespenst reinrennen und merkt gar nichts.«
»Glaubst du, daß ich ein gewöhnlicher Mensch bin?« fragt
Madita eifrig. »Vielleicht bin ich auch hellsichtig, nur war ich noch nie da, wo es Gespenster gibt.«
Abbe lacht höhnisch.
»Du und hellsichtig! Du bist nicht hellsichtiger als ’n Ferkel.«
Eine Weile dreht er schweigend seine Kringel, dann sagt er:
»Na ja, möglich ist’s doch. Ich kann dich ja mal nachts, wenn’s 88
richtig finster ist, zum Friedhof mitnehmen. Da könnte man’s dann ausprobieren.«
Madita überläuft es kalt.
89
»Zum Friedhof? Gibt es denn da Gespenster?«
»Na, und ob«, sagt Abbe. »Klar, woanders hab ich auch welche gesehen, aber auf ’m Friedhof, da stehen sie so dicht wie Spargel, ganze Bündel! Da kann man kaum einen Schritt tun, ohne ein Gespenst anzurempeln.«
Madita möchte gern wissen, ob sie hellsichtig ist, aber mitten in der Nacht auf den Friedhof
Weitere Kostenlose Bücher