Madita
könnte sie ihm helfen, Graf Krähenkralle in einen Winkel zu locken. Vielleicht könnte man dann endlich mal mit ihm über das Geld reden. Abbe hat es schon öfter
versucht, aber sein Ururgroßvater verschwindet dann immer nur mit einem hohlen Seufzer durch die Wand.
Jetzt kommen Madita Zweifel, ob man sich eigentlich wün-
schen soll, hellsichtig zu sein. Natürlich möchte sie gern mal ein Gespenst sehen, aber nicht, wenn dazu gehört, daß sie Abbes Ururgroßvater nachts um zwölf durch die Waschküche
jagen muß.
»Aber Mama erlaubt es bestimmt nicht«, sagt Madita. »Nie im Leben darf ich mitten in der Nacht rausgehen.«
Abbe bedauert Madita wegen ihrer Dummheit.
»Schafskopf! Wolltest du das deiner Mutter erzählen? Dann kannst du die Sache gleich an den Nagel hängen! Dann er-fährst du nie, ob du hellsichtig bist oder nicht, das kannst du mir glauben!«
Und das tut Madita, sie glaubt Abbe! Denn es stimmt leider: Mama will, daß Madita nachts schläft, ob sie nun hellsichtig ist oder nicht.
Da erinnert Abbe sie daran, wie oft sie schon über das Verandadach aus dem Haus geklettert ist. Freilich, das ist immer am Tage gewesen, aber was man tagsüber tun kann, das kann
man auch nachts – falls man nicht feige ist, versteht sich!
»Na, kommst du nun mit oder nicht?« fragt Abbe streng.
Madita weiß nicht aus noch ein.
»Aber ich kann nicht bis zwölf wach bleiben. Das kann ich bestimmt nicht.«
93
Aber so leicht läßt Abbe sie nicht davonkommen. Er überlegt eine Weile, dann sagt er: »Vielleicht könnte ich meinen Ururgroßvater reinlegen, so daß er ausnahmsweise etwas früher kommt. Kannst du dir denken, wie?«
Das kann Madita nicht, sie ist ja nicht so pfiffig wie Abbe.
»Ich bring meinen Wecker in die Waschküche und stell die
Zeiger drei Stunden vor. Na, was sagst du dazu? Dann glaubt der Alte, es ist zwölf, und dabei ist es erst neun, haha!«
»Haha«, sagt Madita, aber richtig fröhlich klingt es nicht.
»Na, kommst du nun mit?« fragt Abbe noch strenger als vorher.
»Ja-a«, sagt Madita, »doch, dann komm ich wohl mit.«
»Famos«, sagt Abbe. »Auf dich kann man sich verlassen.«
Madita und Lisabet gehen abends immer um sieben zu Bett.
Dann kommt Mama noch für ein Weilchen herein, erzählt
ihnen Märchen und singt ihnen etwas vor. Ganz zum Schluß
singen dann alle zusammen, Mama, Madita und Lisabet, ein
Lied. Manchmal ist auch Papa dabei, dann singen sie zwei-
stimmig. »Schön ist der Abend, friedlich und still«, singen sie.
Madita wird immer so froh, wenn sie hört, wie schön es klingt, und beinah noch froher machen sie die Worte, wenn sie auch nicht weiß, warum. Vielleicht machen die Worte auch Lisabet froh, jedenfalls sagt sie jetzt nie mehr wie früher, als sie noch klein war und die Worte lernen sollte:
»Mama, das ist so langweilig. Wir singen lieber was Lustiges.«
Aber da war sie erst drei Jahre alt. Jetzt kann sie das ganze Lied, und sie singt es so fein: »Schön ist der Abend, lieblich und still.« »Lieblich« singt sie, nicht »friedlich«. Oh, sie hat recht, denkt Madita, lieblich ist der Abend, wenn man in seinem schönen, weichen Bett liegt und wenn Mama einen zuge-
94
deckt hat und wenn die Bäume vor dem Fenster leise rau-
schen.
Doch dieser Abend ist nicht lieblich und still. Er ist alles andere als das. Bei dem bloßen Gedanken an das, was sie vorhat,
läuft Madita ein Schauer nach dem anderen über den Rücken, aber die Schauer sind gar nicht so unangenehm. Das Unbe-kannte und Spannende lockt und lockt. Und da sie sich nun einmal entschlossen hat, zu Nilssons Waschhaus zu gehen,
um festzustellen, ob sie hellsichtig ist, da ist das etwa so, als wenn sie zum Zahnarzt muß: Am schlimmsten ist es, ehe
bestimmt worden ist, daß sie hin muß. Danach ist es gar nicht mehr so arg. Und wenn Abbe es aushalten kann, Gespenster
zu sehen, dann wird sie es ja wohl auch durchstehen. Das
glaubt sie jedenfalls, solange sie noch im Bett liegt.
Papa und Mama haben schon längst gute Nacht gesagt. Jetzt wartet Madita nur darauf, daß Lisabet einschläft, denn was sie vorhat, ist so geheim, daß nicht einmal Lisabet etwas davon wissen darf.
»Schläfst du?« fragt Madita.
»Nee, denk mal an, tu ich nicht«, sagt Lisabet. »Und du?«
»Pff, du bist ja dumm«, sagt Madita.
Ein Weilchen liegt sie stumm da, dann versucht sie es wieder.
»Lisabet, schläfst du?«
»Noch nicht richtig«, sagt Lisabet. »Und du?«
Oh, dieses Gör! Madita wird beinah
Weitere Kostenlose Bücher