Madonna
musste dringend nachdenken. Dass Donatus über sein Auftauchen nicht begeistert war, war verständlich. Silberschlägers Besuch hatte schließlich gezeigt, dass die Befürchtung, Richard könne Katharina in Schwierigkeiten bringen, nur allzu berechtigt war. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wäre er Silberschläger entgegengetreten, ohne sich vorher umzuziehen! Ein Blick auf den Verband an seiner Schulter hätte dem Lochschöffen wahrscheinlich ausgereicht, ein paar überaus unangenehme Schlüsse zu ziehen. Richard war am Fundort der Leiche gesehen worden, und wahrscheinlich war Silberschläger längst auf der Suche nach jenem Mann, der blutbesudelt neben der Toten gelegen hatte und auf geheimnisvolle Weise verschwunden war.
Richard schloss die Augen und massierte seine Nasenwurzel. Der Schnitt an seiner Wange ziepte leicht.
»Geht es dir gut?«
Katharinas Stimme erklang so unvermittelt, dass er erschrocken dieAugen aufschlug. Er hatte sie nicht wieder hereinkommen hören. Er sah in ihr Gesicht und wusste, dass er ihr nichts vormachen konnte. »Wie man’s nimmt«, versuchte er ihr auszuweichen.
Sie setzte sich neben ihn auf das Sofa, doch der Abstand, den sie zu ihm hielt, schmerzte ihn. »Du hast dich umgezogen. Gut …« Sie hatte also die gleichen Schlüsse gezogen wie er. Sie zuckte die Achseln. Auch sie war nun blass, und sie sah aus, als leide sie unter Schmerzen. Tiefe Falten hatten sich um ihre Mundwinkel gegraben, unter ihren Augen lagen Schatten.
Er ignorierte die Distanz, die plötzlich zwischen ihnen lag, griff nach Katharinas Fingern. Sie waren kalt, und er nahm sie in beide Hände, um sie zu wärmen. »Ich habe gehört, was geschehen ist«, sagte er leise.
Fragend sah sie ihn an.
»Die Marktfrau«, erklärte er. »Silberschläger denkt, du hast etwas damit zu tun.«
Sie schaute auf seine verletzte Schulter. »In gewisser Weise habe ich das sogar«, sagte sie. Dann erzählte sie ihm von dem Streit, den sie mit der Toten gehabt hatte, von verdorbenen Eiern und einer ihrer Patientinnen, die deshalb gestorben war. »Jemand muss Silberschläger von dem Streit erzählt haben. Darum kam er her.«
Die Art, wie Silberschläger Katharina betatscht hatte, ging Richard einfach nicht aus dem Kopf. »Bedrängt er dich schon länger?« Er fürchtete sich vor der Antwort, denn wenn Katharina jetzt ja sagte, würde das bedeuten, dass er sich Vorwürfe machen musste, sie so lange allein und schutzlos zurückgelassen zu haben.
Doch zu seiner Erleichertung schüttelte sie den Kopf. »Ich habe ihn heute zum ersten Mal seit damals wiedergesehen.« Offen blickte sie Richard an, und er konnte ihr ansehen, dass sie die Wahrheit sagte.
Langsam nickte er. »Gut. Er wird dich nicht wieder anrühren. Dafür sorge ich.« Dann wanderten seine Gedanken zu der toten Marktfrau zurück. Das Bild von Blut, das aus ihrer aufgeschlitzten Kehle sprudelte, tauchte vor seinem geistigen Auge auf. Er wusste sich nicht anders dagegen zu wehren als mit finsterem Humor. »Sieht fast so aus, als könnten wir beide nicht beieinander sein, ohne dass irgendwo Leichen herumliegen, was?«
Katharina zuckte zusammen, und ihm wurde bewusst, wie unpassenddiese Bemerkung gewesen war. Wieder sah er die aufgerissenen Augen dieser Frau vor sich, den klaffenden Schnitt in ihrer Kehle.
»Entschuldige!«, sagte er.
»Scht!« Katharina legte ihm die Fingerspitzen auf den Mund. »Lass uns über etwas anderes sprechen. Du hast vorhin gesagt, dass du mich etwas fragen musst.«
Seine Frage!
Richard holte Luft. Seine Schulter schmerzte dabei. Willst du meine Frau werden? Das war es, was er Katharina hatte fragen wollen. Aber jetzt, wo der Moment gekommen war, konnte er es einfach nicht.
Wieder sah er das viele Blut. Er war dort gewesen, als die Marktfrau starb. Und er war dort auch gesehen worden. Besser, er hielt einstweilen so viel Abstand wie möglich von Katharina.
Er befeuchtete die Lippen mit der Zunge, überlegte, was er sagen sollte.
Da wurde die Tür geöffnet, und Donatus streckte den Kopf herein. Ärgerlich starrte er Richard an, und Richard konnte es ihm nicht verdenken.
»Entschuldige«, sagte Donatus zu Katharina. »Aber es gibt noch andere Dinge, um die du dich kümmern musst.«
Mit verzweifelter Miene warf Katharina Richard einen Blick zu. Der passende Moment für seine Frage war vorüber, das wussten sie beide.
Richard sah die Enttäuschung in Katharinas Gesicht, und er hoffte, dass sie ihm ihrerseits die Erleichterung nicht
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