Madonna
presste die Lippen zusammen. Seine Hand tastete in der Hosentasche herum. Gewöhnlich störte es ihn nicht, dass Richard einer der wenigen Menschen war, die ihn zu lesen verstanden. Jetzt jedoch hätte er einiges dafür gegeben, von ihm nicht so ohne Weiteres durchschaut zu werden.
»Es ist völlig abwegig, dass sie einen dieser Morde begangen haben soll!« Wie schon in Schedels Kontor sprach Richard heftig, und seine Stimme vibrierte in der Tiefe.
Mit einem langen Durchatmen wappnete Arnulf sich. »Komm mit!«,bat er. »Ich muss dir etwas erzählen.« Und während er Richard zur »Krummen Diele« führte, umklammerte seine Hand in der Tasche den kleinen Samtbeutel mit Tierknochen, den er von Gerhardus Sutorius hatte.
Die Luft in der »Krummen Diele« war erfüllt von Stimmengewirr, von dem Geruch von gebratenem Fleisch und Zwiebeln, von Bier und Schweiß. Gleich nachdem Arnulf die Wirtsstube betreten hatte, packte er sich einen von Niklas’ Zechern und gab ihm den Befehl, Sibilla, die Engelmacherin, zu ihm zu bringen. Der Mann blinzelte mehrfach, bevor er seinen vom Branntwein vernebelten Geist so weit geklärt hatte, dass er begriff. Dann nickte er und zog von dannen.
»Setzen wir uns.« Arnulf führte Richard zu seinem Stammplatz in der Ecke der Wirtsstube, der, obwohl es Samstagabend war und die »Diele« zum Bersten voll, unbesetzt auf ihn wartete. Allerdings schien er das nicht den ganzen Abend gewesen zu sein, denn die Tischplatte war mit Wasserringen und Krümeln von Brot und Fleisch übersät.
Arnulf wartete, bis Richard Platz genommen hatte, bevor er sich selbst niederließ. Er wusste, dass ihm ein schwieriges Gespräch bevorstand, und auch wenn er gewöhnlich nicht so leicht ins Bockshorn zu jagen war, fürchtete er Richards Reaktion auf das, was er ihm zu sagen hatte.
»Während du in Katharinas Stube gelegen und dich erholt hast, habe ich ein paar Nachforschungen angestellt«, begann er.
Richard legte den unverletzten Arm über die Rückenlehne seines Stuhls. Er wirkte angespannt und auch ein wenig zornig. Arnulf konnte es ihm nicht verdenken. Er beobachtete mehrere Zecher, die den Raum betraten, sich zu zwei anderen an der Theke gesellten und sich Niklas’ billigen Branntwein bestellten. Ein Mann und eine Frau, beide ungepflegt und mit langen, fettigen Haaren, hockten am Nachbartisch und waren völlig mit sich selbst beschäftigt. Der Blick des Mannes lag auf dem Gesicht der Frau wie der eines verliebten Katers auf seiner Katze.
Arnulf zwang sich, die beiden nicht weiter zu beachten.
»Und?«, fragte Richard.
»Diese Marktfrau, die ermordet wurde. Ihr Name war Gertrud.«
Richard nickte. »Das weiß ich.«
Überrascht sah Arnulf ihn an. »Woher?«
»Katharina hat es mir erzählt.«
»Hat sie dir auch von dem Streit erzählt, den sie mit dieser Gertrud hatte?«, fragte Arnulf, und zu seiner Verblüffung nickte Richard schon wieder.
»Selbstverständlich. Es ging um verdorbene Eier. Offenbar ist ihr deswegen eine Patientin weggestorben.«
Die Wirtsstubentür öffnete sich, und herein kam eine von Arnulfs Huren. Sie entdeckte Arnulf und nickte ihm kurz zu. Arnulf tat so, als müsse er sie dabei beobachten, wie sie ein warmes Bier bestellte und dabei jeden anwesenden Gast mit Blicken abtastete. In Wahrheit jedoch brauchte er einen Moment, um das zu verdauen, was er soeben gehört hatte. Nicht nur ein einfacher Streit, sondern eine tote Patientin, zur Hölle damit! Er unterdrückte einen deftigen Fluch. Rache war ein starkes Motiv.
In Richards Miene erschien Begreifen. »Jetzt sag mir nicht, dass das der Grund ist, warum du es für möglich hältst, dass Katharina …« Fassungslos griff er sich an die Nasenwurzel, kniff hinein. Über seine Finger hinweg starrte er Arnulf in die Augen. »Du kennst Katharina so gut wie ich!«
Der rote Samtbeutel in seiner Tasche schien plötzlich Zentner zu wiegen. Der Zecher, den er nach Sibilla geschickt hatte, enthob Arnulf der Pflicht, Richard sofort zu antworten. Der Mann betrat die Wirtsstube und steuerte auf ihren Tisch zu. »Sie kommt, aber es dauert noch ein bisschen«, richtete er aus. »Sie hat gerade eine Geburt.«
Arnulf bedankte sich mit einem Nicken.
»Sie hat immer irgendeine Geburt«, hörte er den Zecher murmeln, während er zurück zu seinen Kumpanen ging. »Man könnte meinen, ihr Ruf als Engelmacherin ist erfunden.«
Arnulf lauschte in sich hinein, wo die Scham darüber brannte, dass er es tatsächlich fertigbrachte, an Katharina zu
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