Madonna
tat es auch jetzt nicht, als er vor sie hintrat und sein Schwert hob. Sein blasses Gesicht spiegelte sich in ihren vor Angst geweiteten Pupillen. Seine Seele schrie. Er wollte, dass die Marktfrau sich wehrte, dass sie sich herumwarf und weglief. Aber sie stand wie festgewurzelt.
Auch noch, als er ihr das Schwert an die Kehle setzte. Über die Klinge hinweg sah sie ihm ins Gesicht, Tränen rannen ihr über dieWangen. Und dann, mit einem gepeinigten Aufschrei, zog er das Schwert quer über ihre Kehle. Blut spritzte hervor, nässte seine Hände, seine Arme, die Brust.
Die Marktfrau stand noch immer aufrecht. Richard konnte das Leben aus ihren Augen weichen sehen, und erst, als er das Schwert losließ, brach sie zusammen. Unendlich langsam fiel sie, und im Fallen schaute sie ihn an. Während ihr Körper der Erde wie eine Feder entgegentaumelte, verwandelte sich ihr Gesicht. In das von Katharina.
Mit einem atemlosen, gequälten Schrei fuhr Richard aus dem Schlaf auf.
Lautes Pochen an seiner Tür drang durch den Schleier des Alptraums. Eine Stimme.
»Herr Sterner! Alles in Ordnung?«
Thomas.
Richard schluckte, doch sein Mund war staubtrocken. »Ja«, krächzte er mühsam. »Nur ein Alptraum, Thomas! Ich danke dir. Geh wieder schlafen, es ist alles gut!«
»Seid Ihr sicher?«
Richard hob eine Hand vor das Gesicht. Ein dumpfer Schmerz fuhr durch die Wunde an seiner Schulter, wurde zu einem glühenden Pochen, das sich ungut anfühlte. Richard tastete den Verband ab. Der Schmerz flammte kurz grell auf, zog sich dann wieder in das Pochen zurück. Seine Hände und Füße waren kalt, während sein Gesicht zu glühen schien.
Er schluckte erneut. »Es ist gut, Thomas!«
»Ich lasse meine Tür auf«, sagte der Diener. »Falls etwas ist, braucht Ihr nur zu rufen.«
Richard ließ sich zurücksinken. »Ich bin kein kleines Kind, Thomas. Aber trotzdem danke.« Er lauschte den Schritten seines Dieners, bis sie auf dem Gang verklungen waren.
Dann schloss er die Augen.
Draußen vor dem Fenster rumpelte ein nächtliches Fuhrwerk vorbei. Das Geräusch, das die beschlagenen Räder auf dem Pflaster machten, dröhnte in Richards Ohren. Er leckte sich über die Lippen. Sie waren trocken und rissig. Mit dem Handrücken befühlte er seine Stirn, aber er konnte nicht sagen, ob sie heißer war als gewöhnlich.
Während er sich noch darum sorgte, ob das Wundfieber ihn nun doch übermannt hatte, schlief er erneut ein.
Diesmal quälten ihn keine Träume, und als er nach ein paar Stunden aufwachte, fühlte er sich nicht mehr so zerschlagen. Er stemmte sich auf die Füße, trat ans Fenster und öffnete es. Der Türmer von St. Sebald schlug die zweite Tagstunde, und Erinnerungen geisterten durch Richards Kopf. Erinnerungen an Tote in Heiligengräbern und Blutflecken in der Turmkammer der großen Bürgerkirche. Er schob sie allesamt von sich. Er hatte genug mit der Gegenwart zu schaffen, er konnte keine schwermütige Versunkenheit in die Vergangenheit gebrauchen.
Mit einem tiefen Durchatmen wandte er sich vom Fenster ab, zog sich die saubere Kleidung an, die Thomas ihm irgendwann im Laufe der Nacht hingelegt haben musste, und ging dann nach unten in das Speisezimmer, wo sein Diener längst dabei war, ihm ein üppiges Frühstück zu richten.
Während Thomas Brot und Käse auf einen Teller schichtete und einen Becher mit Milch vollgoss, nahm Richard Platz und legte sich eine Serviette auf den Schoß. Er hob den Becher, trank. Thomas hatte die Milch nicht nur angewärmt, sondern auch mit Honig gesüßt. »Ich habe dir schon in der Nacht gesagt, dass ich kein Kind bin«, rügte Richard ihn gutmütig.
»Natürlich.« Thomas stand da wie ein gescholtener Schüler. »Wollt Ihr etwas anderes … ich …«
Richard winkte ab. »Schon gut. Die Milch ist köstlich.« Er nahm noch einen Schluck, dann sah er Thomas an. »Du fragst dich, was es mit meinen Verletzungen auf sich hat, oder?« Er wies auf den Schnitt an seiner Wange. Mit den Fingerspitzen berührte er den Schorf darauf. Er fühlte sich hart an und ein wenig rissig, genau wie seine Lippen.
Thomas räusperte sich. Es schien ihm sichtlich unangenehm, dass Richard ihm seine Neugier angesehen hatte. Doch als Richard sich ein Lächeln abrang, da endlich nickte er. »Wenn ich ehrlich bin …«
»Nun.« Richard leerte den Becher mit Milch, stellte ihn auf den Tisch und drehte ihn nachdenklich. »Ein kleiner Zusammenstoß mit einem mir nicht sehr wohlgesonnenen Menschen.« Was für eine
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