Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Madonna

Madonna

Titel: Madonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
Vom Netzwerk:
ihre Probleme zur Seite und machte sich auf den Weg.
    An der nordwestlichen Ecke der St.-Lorenz-Kirche fiel ihr Blick auf einen Mann, der sich auf eine Kiste gestellt hatte und auf eine kleine Menschenmenge einredete, die sich um ihn versammelt hatte. Der Mann war mager zum Gotterbarmen. Ein zerschlissenes Hemd schlackerte ihm um den Oberkörper, und durch die Risse darin konnte Katharina weit hervorstehende Rippen erkennen. Die halblange Hose, die der Mann mit einem Sackband um die Hüften zusammenhielt, war von undefinierbarer Farbe, unten ragten die Beine wie Stecken hervor. Seine trotz der fast winterlichen Temperaturen nackten Füße wirkten dagegen riesig. Wie als Gegensatz zu diesem ärmlichen Aufzug trug er einen großen, kostbar aussehenden Hut aus schwarzem Samt mit einer langen, wippenden Feder.
    »… ich aber sage euch«, schleuderte er seinen Zuhörern entgegen, »in einer Zeit, in der sogar der Kaiser sich von Nürnberger Dirnen mit silbernen Ketten einfangen lässt, um sich mit ein paar Gulden wieder loszukaufen, in dieser Zeit, in der viele von euch ihre Gedanken lieber auf die Unzucht richten als darauf, ein gottgefälliges und keusches Leben zu führen …«
    »Ein gottgefälliges Leben?«, unterbrach ihn die schrille Stimme einer Frau, und er blinzelte irritiert. »Das ist doch Katzenscheiße, alter Mann!«
    Die Augen des Predigers suchten in der Menge die Ruferin, und als er sie entdeckt hatte, sah auch Katharina sie.
    Es war eine junge Frau, die die bunten Kleider und die gewagte Frisur der Huren trug. Katharina kannte ihren Namen nicht.
    »Du!« Der Prediger streckte einen Zeigefinger nach der Frau aus, und es wirkte, als wolle er sie auf der Stelle verdammen. »Wie ist dein Name?«
    Die Hure sah sich um und freute sich offensichtlich über die Aufmerksamkeit, die ihr plötzlich zuteil wurde. Ganz in ihrer Nähe standen mehrere junge Männer, die in die Kleidung von vornehmen Patriziersöhnen gehüllt waren. Mit einer tausendmal einstudierten Gestestrich die Hure sich erst eine Haarsträhne aus dem Gesicht, dann ließ sie die Hand über die Hüfte nach unten wandern. »Elisabeth«, rief sie mit einer Stimme, die nun etliche Tonlagen tiefer klang als noch eben.
    Zwei der jungen Männer stießen sich gegenseitig feixend in die Rippen.
    Der Prediger hingegen schluckte schwer. Sein Adamsapfel trat deutlich sichtbar hervor, und Katharina fragte sich, ob er wohl an einem Übermaß von gelber Galle litt. Sein dürrer Körper und der vergrößerte Kehlkopf waren Zeichen für ein nervöses Temperament. »Elisabeth«, würgte er hervor. »Wie kannst du dich erdreisten, dein Wort an einen Prediger des Herrn zu richten?«
    Elisabeth warf den Kopf in den Nacken und lachte kehlig. Sie wollte Aufmerksamkeit, und sie bekam sie im Übermaß, das machte sie übermütig und herausfordernd. »Ein Prediger des Herrn, dass ich nicht lache, du abgerissener Lump!«
    Der Mann sah an sich herunter. »Ja, ich trage zerschlissene Kleidung, und ja, ich habe seit längerem kaum etwas gegessen, aber wenn du nicht blind wärest, dann würdest du erkennen, dass dies Zeichen von Heiligkeit sind!«
    Elisabeth schnaubte. »Klar! Genau wie die Läuse, mit denen mich neulich so ein fetter Mönch beehrt hat. Widerliches, stinkendes Schwein! Wisst Ihr, was er gesagt hat?« Herausfordernd sah sie sich um. »Läuse sind Perlen Gottes!« Angeekelt schüttelte sie sich, und sie schien nicht zu bemerken, dass sie mit der Erwähnung der Läuse das Interesse der Bürgersöhne an ihr um ein Gutteil gedämpft hatte.
    »Mäßige dich!«, mahnte der Prediger. »Bedenke, dass du nur eine der niedersten Kreaturen des Herrn bist, mit dem, wodurch du dein täglich Brot verdienst!«
    Jetzt hatte er Elisabeth offenbar an einem wunden Punkt getroffen. »Und Ihr?«, schnappte sie. »Womit verdient Ihr Euer täglich Brot? Damit, dass Ihr herumrennt und den Menschen Angst vor der Hölle macht! Da lege ich mich lieber dreimal die Nacht auf den Rücken und mache die Beine breit, das könnt Ihr mir glauben!«
    Die ganze Angelegenheit wurde Katharina zu deftig, und sie beschloss, ihren Weg fortzusetzen. Sie wandte sich ab und machte, dass sie weiterkam. Die giftigen Worte des Predigers jedoch hatten sich in ihrem Kopf festgesetzt.
    … viele von euch richten ihre Gedanken lieber auf die Unzucht als darauf, ein gottgefälliges und keusches Leben zu führen, hatte der Mann gesagt.
    Katharina wendete diesen Satz in ihrem Kopf hin und her, und erst als St.

Weitere Kostenlose Bücher