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Madonna

Madonna

Titel: Madonna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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und Kranken zu kümmern.«
    Rotgerber war der kurze Stolperer nicht entgangen. Nannte Öllinger diese Hexe etwa beim Vornamen? Hatte ihm nicht Krafft, der Spitalarzt, gesagt, dass Öllinger und die Jacob miteinander in Kontakt standen, dass diese Hexe Öllinger davon abgebracht hatte, die Arzneien von Marcellus Empiricus zu verwenden?
    Herr im Himmel, machte er hier gerade den Bock zum Gärtner?
    Das konnte auch nur ihm passieren! Er konzentrierte sich darauf, was sein Gegenüber sagte.
    »Der Rat hat das Verbot gelockert. Sie darf nach wie vor keine Bürgerinnen und Bürger behandeln, aber um den Bodensatz der Straßen, um die Huren und Irren, die sonst allen egal sind, darf sie sich sehr wohl kümmern.«
    »Pah!« Rotgerber schob die Unterlippe vor. Der Wirt kam und brachte den bestellten zweiten Weinbecher. Rotgerber nahm ihn und stürzte einen Gutteil davon hinunter. Als er absetzte, kribbelte seine Gesichtshaut, und auch seine Fingerspitzen fühlten sich unangenehm taub an. »Spital!«, brummte er. »Von wegen! Ein Hurenhaus hat sie eingerichtet, nichts weiter! Was sonst, wo sie dort lauter unverheiratete Frauen um sich schart?«
    Öllinger ließ seinen Finger auf dem Rand seines Bechers herumwandern. »Kann es sein, dass es Euch weniger um die Tugend der Nürnberger geht als um die Geldkästen von Heilig-Geist?«, fragte er vorsichtig.
    Rotgerber starrte ihn an. Sein Oberkörper schwankte ein wenig. Sah er etwa unscharf? Er blinzelte.
    Vor sechs Jahren hatte ein verstorbener Nürnberger Bürger namens Georg Keyper dem Heilig-Geist-Spital einen gehörigen Geldbetrag vermacht, und seine Testamentsvollstrecker hatten eine Zustiftung für Heilig-Geist eingerichtet. Durch dieses Geld war es möglich geworden, einen Spitalarzt anzustellen, so dass man nicht mehr auf die Stadtärzte angewiesen war. Das zweite Ziel der Zustiftung jedoch, die Einrichtung einer Spitalapotheke, war an den fehlenden Mitteln gescheitert.Die Zustiftung war einfach nicht groß genug, um Arzt und Apotheke zu finanzieren. Seitdem war es eine der Aufgaben des Spitalmeisters, um weitere Zustiftungen zu werben, in der Hoffnung, die Apotheke in absehbarer Zeit errichten zu können. Und er war tatsächlich erfolgreich gewesen. Die Witwe eines reichen Brauers hatte sich entschlossen, ihr Vermögen wohltätigen Zwecken zur Verfügung zu stellen. Genug Geld, um die Apotheke damit einzurichten. Dumm nur, dass die Frau, als Rotgerber neulich mit ihr gesprochen hatte, sich noch nicht ganz sicher war, ob sie ihr Geld Heilig-Geist oder doch lieber dem Fischerhaus vermachen sollte.
    Und genau da lag das Problem, dass er eigentlich mit Öllinger hatte besprechen wollen. Aber sein Zustand verschlechterte sich jetzt so rapide, dass er beschloss, dieses Gespräch auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Er nestelte eine Münze aus seinem Geldbeutel, warf sie auf den Tisch, winkte Niklas und wies auf das Geld.
    Der Wirt nickte verstehend.
    »Wir müssen später weiterreden.« Rotgerber stand auf. Er musste sich an der Tischkante abstützen, so schwindelig und übel war ihm plötzlich.
    Öllingers Gesicht war besorgt. »Geht es Euch gut?«
    Er schüttelte den Kopf, und die Welt begann, sich in schwindelerregender Geschwindigkeit um ihn zu drehen. »Nein«, ächzte er. »Nicht im Geringsten!«
    Draußen in der Gasse erbot sich Öllinger, ihn nach Hause zu begleiten, aber Rotgerber wehrte ab. Auf keinen Fall wollte er, dass der Apotheker ihn länger als nötig in diesem Zustand sah. Darum riss er sich zusammen und behauptete, es sei nur ein kleiner Schwächeanfall, der gleich wieder vorübergehe.
    Öllinger sah nicht so aus, als glaube er ihm, aber er war klug genug, ihm nicht zu widersprechen. »Wenn Ihr meint«, sagte er nur und verabschiedete sich.
    Rotgerber sah ihm nach, wie er die Gasse verließ. Erst als seine Schritte verklungen waren, atmete der Spitalmeister tief durch. Und machte sich auf den Weg zurück nach Heilig-Geist.
    Das Rumpeln in seinem Magen war nun sehr viel stärker geworden. Sein Blick trübte sich wieder und wieder, und immer öfter musste erblinzeln, um klar sehen zu können. Mit unsicheren Schritten wankte er in Richtung Pegnitz, fasste ein ums andere Mal nach einer Wand oder Hausecke, um sich abzustützen. Schließlich blieb er stehen und wischte sich mit der flachen Hand über Gesicht und Hals.
    Besser, er mied die großen Straßen und Plätze. Der Vormittag war gerade einmal wenige Stunden alt, und es machte einen überaus

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