Madonna
auf dem Hausstein stand. Es war Georg Öllinger.
Seine Nase war von der draußen herrschenden Kälte gerötet, er zog ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich lautstark.
»Herr Öllinger!« Katharina stieß die Tür weiter auf, um ihn einzulassen. »Was führt Euch zu dieser späten Stunde zu mir?«
Er räusperte sich, machte aber keine Anstalten, das Haus zu betreten. »Nun, zum einen wollte ich mich nach Tobias erkundigen. Wie geht es ihm?«
Katharina warf einen Blick in Richtung Zimmerdecke. »Er hat sich in seiner Kammer eingeschlossen, aber ich habe ihm vorhin ein wenig Brot und Suppe hochgebracht, und da hat er kurz geöffnet, um sie mir abzunehmen. Ich denke, er wird gegessen haben, aber sicher bin ich nicht.« Sie dachte an das kurze Gespräch, das sie mit dem Jungen geführt hatte, kurz bevor Brunhild gestorben war. »Er …« Wie sprach sie es am besten an? »Kommt doch erst einmal herein«, bat sie.
Er wirkte unsicher. »Ich weiß nicht, ob das ein guter Einfall ist.« Über beide Schultern hinweg sah er sich um, wie ein Mann, der etwas zu verbergen hatte. »Die Leute werden reden, wenn ich einfach so … mitten in der Nacht …«
Katharina verzog den Mund zu einem knappen Lächeln. »Glaubt mir, das schert hier niemanden«, versicherte sie ihm, und im Stillen dachte sie: weil die Leute ganz andere Dinge haben, über die sie sich meinetwegen das Maul zerreißen können. Der Besuch eines verwitweten Apothekers zu nachtschlafender Stunde ist für sie nur ein kleiner Fisch.
Skeptisch sah Öllinger sie an, aber dann nickte er. Er zog den Hutvom Kopf und trat ein. Katharina schloss die Tür hinter ihm, nicht ohne die Gasse in beide Richtungen nach Arnulfs Gestalt abzusuchen. Aber wenn er tatsächlich noch da war, dann hielt er sich in den Schatten gut verborgen. Katharina konnte ihn nicht entdecken. Trotzdem fühlte es sich beruhigend an, zu wissen, dass sie auf ihn zählen konnte.
Sie führte Öllinger in die Küche und bot ihm einen Platz an dem Esstisch an. »Möchtet Ihr etwas trinken?«
Er setzte sich und schüttelte den Kopf. Falten hatten sich tief um Mund und Nase eingegraben, und Katharina vermutete, dass ihn irgendwelche Schmerzen plagten.
»Nein«, sagte er und bestätigte mit seinen nächsten Worten ihre Theorie. »Ich muss mir heute irgendwo den Magen verdorben haben.« Er legte eine Hand auf den Leib, um zu demonstrieren, wo der Schmerz saß. Dann lächelte er matt. »Das ist der zweite Grund, warum ich Euch diesen Besuch abstatte.«
Katharina zog sich einen Schemel heran, setzte sich jedoch nicht. »Ihr möchtet von mir eine Medizin?«, fragte sie.
Er bejahte.
»Versteht mich nicht falsch, natürlich helfe ich Euch, wenn ich kann.« Sie strich sich eine Haarsträhne aus den Augen. »Aber Ihr seid selbst Apotheker. Warum kommt Ihr zu mir?«
Unglücklich blickte er auf seine Hände nieder, die er auf dem Tisch ineinander verschränkt hatte. »Ich fürchte, meine Kunst ist an ihre Grenzen geraten.«
Beinahe hätte Katharina genickt. Es war nicht das erste Mal, dass Öllinger sie um ihren Rat bei Heilkräutern fragte. Er selbst war bisher ein Anhänger des Marcellus Empiricus gewesen, eines Medicus aus Gallien, dessen Heilmittel Katharina eher gewöhnungsbedürftig fand. So hatte Öllinger noch vor ein paar Monaten versucht, Mechthilds Lähmung mit einer Mischung aus Steinbockmist, Pfeffer, Honig und Wein zu kurieren. Eine Behandlung, die in Katharinas Augen von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen war und tatsächlich nicht die Spur einer Verbesserung bewirkt hatte. Die Tatsache, dass Öllinger in der letzten Zeit des Öfteren zu ihr kam und ihren Rat in Fragen der Heilkunde erbat, war ihr zuerst verdächtig vorgekommen. Anfangs hatte sie vermutet, dass er sie im Auftrag des Rates bespitzelte, um herauszufinden, ob sie gegen das noch immer gültige Verbotverstieß, Nürnberger Bürgersfrauen zu behandeln. Doch mit der Zeit hatte sie begriffen, dass er ganz andere Absichten verfolgte. Ihm war nicht daran gelegen, sie beim Rat anzuzeigen. Seine Gründe waren persönlicherer Natur: Er hoffte offenbar, sie würde die Mutter seiner zukünftigen Kinder werden.
»Nun«, meinte sie und wandte sich der niedrigen Tür zu, die in ihre Apotheke führte. »Wenn Ihr Euch den Magen verdorben habt, dann rate ich Euch zu einem Sud verschiedener Kräuter.« Sie öffnete die Tür und nahm einen kleinen Beutel von einem der Regale, der eine Mischung aus getrocknetem Salbei, Kamille und
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