Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
du mir noch einmal die Nase brechen?«, fragte er und empfand beim Anblick ihrer Miene einen leisen Anflug von Triumph. »Ich will mich nicht in dein Leben einmischen. Hier geht es aber um mein Leben. Und um Russ. Jetzt sag schon, warum die Polizei ihn sucht.«
Sie blickte ihn an, und ihre Augen wirkten stahlhart. »Weil letzte Nacht ein Mädchen erstochen wurde. Und dein Kumpel Sanders könnte der Täter sein.«
6
E s war nicht zu begreifen. Mitch ging unruhig in dem kleinen Raum auf der Wache hin und her und versuchte, Klarheit in seine Gedanken zu bringen. Einer ehemaligen Nutte, gerade mal achtzehn Jahre alt, war die Kehle zerstochen worden. Es gab einen Anruf bei Russ und eine belastende Notiz auf seinem Nachttisch. Dazu Brads Bestätigung, dass sich sein Vater am Sonntagabend mit einer Frau treffen wollte, und Russells anschließendes Verschwinden.
Und dann noch der Anruf, der zeitlich grob mit dem Mord zusammenfiel. Ich stecke in Schwierigkeiten, Mitch.
»Also, Mr. Sheridan, erzählen Sie noch mal«, sagte der große, glatzköpfige Detective. Seine Marke, die an seinem Reverskragen hing, wies ihn als Tifton aus. Er war der leitende Ermittlungsbeamte in dem Mordfall an dem jungen Mädchen und demnach auf der Suche nach dem Täter: Nach Russ.
Unmöglich. Russ könnte nie jemandem weh tun. Er war ein guter Mann. Und ein Teil von Mitchs Leben, der ihm viel bedeutete. Als Mitch hilflos gewesen war, ein Teenager, dessen Welt in Scherben lag, hatte Russell ihm eine Chance zur Wiedergutmachung gegeben. Hatte es erreicht, dass er wieder mitfühlen konnte, und ihm damit auch die Möglichkeit gegeben, diese Welt zu verbessern. Mach die Fotos, Mitch. Erzähle die Geschichten. Du brauchst das …
»Nein«, erwiderte Mitch. »Ich habe schon alles erzählt.« Er warf Dani einen Seitenblick zu. Sie hatte Russ gekannt, wenigstens ein bisschen, durch Mitch. Sie konnte doch nicht ernsthaft glauben, dass Russ in der Lage wäre, jemanden zu töten.
Tifton hob eine Hand. »Wollen Sie nicht wenigstens die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich in Sanders’ Leben etwas Dubioses abgespielt hat, von dem Sie nichts wissen?«
»Sie sprechen hier doch nicht von etwas Dubiosem, Detective, sondern von Mord. Russ ist seit über zwanzig Jahren mein Geschäftspartner, Freund und Mentor. Er ersetzt mir den leiblichen Vater, den ich mit sechzehn Jahren verloren habe.« Er blickte Dani an, erinnerte sich an das Bettgeflüster zu Zeiten ihrer jungen Liebe, als er ihr sein Herz über Russ und seinen Vater ausgeschüttet und geglaubt hatte, dass das Vertrauen auf Gegenseitigkeit beruhte. Doch so war es nicht. »Nein«, sagte er und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch. »Ich werde die Möglichkeit, dass Russ ein Mörder sein könnte, keinesfalls in Betracht ziehen.«
Dani verlagerte das Gewicht und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie war nun durch und durch Polizistin. Offensichtlich hatte sie ihrem Partner nichts von ihrer und Mitchs gemeinsamer Vergangenheit erzählt. »Sie sagten, er sei wie ein Vater für Sie gewesen. Ich meine, gelesen zu haben, er sei für Sie mehr ein Vater gewesen als für seinen eigenen Sohn. Hatte Brad Harper Probleme mit seinem Vater?«
Mitchs Stimme klang frostig, als er antwortete. »Haben Sie das beim Anstehen an der Supermarktkasse gelesen, Sergeant?«
»He!«, rief Tifton warnend, aber da es in diesem Augenblick an der Tür klopfte, verließ er den Raum und trat auf den Flur hinaus.
Dani schien Mitch mit ihren Blicken erdolchen zu wollen. »Ich will, dass das hier auf einer dienstlichen Ebene bleibt.«
»Aber das geht nicht. Ich weiß, dass es in deiner Natur liegt, von allen stets das Schlechteste zu erwarten. Aber du kennst Russell. Du weißt, dass er mich unter seine Fittiche genommen hat, nachdem mein Dad gestorben war, und du weißt, dass er seinen Sohn willkommen hieß, nachdem er von seiner Existenz erfahren hatte. Was du aber nicht weißt, ist, dass er später für Brads Collegeausbildung aufgekommen ist und ihm das Jurastudium finanziert hat. Und als es mit Brads Karriere als Firmenanwalt den Bach runterging, hat er ihm einen Job in der Stiftung verschafft.«
»Ich erinnere mich sehr wohl daran, dass du Brad nie hast leiden können.«
»Ich mag ihn auch immer noch nicht. Er ist ein undankbarer Raffzahn, der seinem Vater alles verdankt und das nicht eine Sekunde zu würdigen weiß.«
Sie zuckte mit den Schultern, doch ihr Blick blieb ausdruckslos. »Die Leute zeigen sich
Weitere Kostenlose Bücher