Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
jemand sein muss, der sie kannte und von ihren Narben wusste.«
»Auf ihrem Foto sind sie mir gar nicht aufgefallen.«
»Sie sind mir nicht einmal im echten Leben aufgefallen. Sie sah gut aus.« Dani hatte die Stirn in Falten gelegt und lief auf und ab. »Aber etwas, das Janet vorhin sagte, hat mich ins Grübeln gebracht. Als ich sie nach einer Frau mit blonden Haaren fragte, sagte sie, Rosie kannte eine Menge Mädchen von der anderen Seite der Stadt. Sie meinte Reading und die Huren dort.«
»Du meinst, er hat es auf Huren abgesehen?«
»›Nicht unschuldig. Hör auf, sie zu beschützen‹. Als würde er sein Urteil über eine ganze Personengruppe fällen. Und wenn es sich bei dem Opfer nicht um ein Straßenmädchen handeln würde, wäre ihr Verschwinden jemandem aufgefallen. Wir hätten eine Vermisstenanzeige vorliegen.«
»Also suchen wir nach einer Nutte oder einer Ausreißerin mit blondem Haar, von der jede Spur fehlt.«
»Mein Gott, Mitch, die Mädchen kommen und gehen in diesen Kreisen!« Dani rang die Hände. »Ich denke an die Mädchen, mit denen ich zu tun hatte, die wechseln nahezu wöchentlich die Haarfarbe. Es könnte jede von ihnen sein. Und ich frage mich ständig: Ist es jemand, den ich kenne, und ist sie jetzt verschwunden? Ist sie vielleicht tot, und hielt ich gestern Nacht eine Locke ihres Haars in meinen Händen? Oder lebt sie noch, und ich habe keine Chance, nach ihr zu suchen, weil ich nicht mehr an dem Fall arbeite und –«
»Hör auf«, sagte Mitch. Dani zitterte vor Aufregung. Es versetzte ihm einen Stich, wenn er daran dachte, was sie in den letzten beiden Tagen hatte durchmachen müssen.
Die Nutten, Rosie, Russell. Mitch hatte keine Ahnung, in welchem Zusammenhang sie standen, aber eines war klar: Der Mörder wusste, wo Dani wohnte.
Er sah sich um. »Hat er alles zerstört?«
Sie zuckte kaum sichtbar mit den Schultern und starrte auf ihre Fingernägel. Mitch interpretierte das als ein Ja. Dann fielen ihm die Futternäpfe am Boden auf. »Wo ist dein Hund?«
Dani schlang sich die Arme um den Oberkörper.
»O Gott!«
»Nein, nein, sie ist nicht …« Tränen traten ihr in die Augen. »Sie ist in der Tierklinik.«
»Ist sie verletzt?«, fragte er.
»Ja. Der Einbrecher hat sie mit Fleisch geködert, das mit Opioiden versetzt war. Weißt du, was das ist?« Dani merkte, dass sie sich durch Reden ablenken wollte. »Das sind narkotische Schmerzmittel wie Oxycodon und Methadon. Sie wirken auf das zentrale Nervensystem und werden wie Morphium verschrieben. Aber sie sind für Menschen gedacht. Hunde werden davon nervös, sie fangen an zu sabbern und irren hilflos herum, und irgendwann können sie nicht mehr laufen und –«
Mitch zog Dani zu sich heran. Sie hörte erst auf zu sprechen, als ihre Lippen sein Hemd berührten. Er hielt sie fest, und sie fing an zu weinen. Bis auf die Knochen durchnässt, standen beide da, und er lehnte seine Wange an ihr Haar und fragte sich, wie lange es her war, dass er eine Frau, mit der er nicht ins Bett ging, einfach nur festhalten wollte.
Ungefähr achtzehn Jahre.
Als ihr Atem ruhiger wurde, löste sie sich aus der Umarmung. »Ich habe ihn verfolgt«, sagte sie, und Mitch zog die Augenbrauen hoch. Typisch. »Er hat ein Fenster eingeworfen, ich entdeckte ihn draußen und bin ihm gefolgt …«
Dani berichtete ihm vom Rest der Nacht: von dem Unfall, der Tierklinik und dem Krankenhaus –
»Krankenhaus?«, fragte Mitch.
»Ich habe mich am Fensterglas geschnitten. Die Wunde wurde mit ein paar Stichen genäht.«
Mitch fühlte ein Beben in der Brust. »Dein linkes Bein.«
Als sie nickte, verfluchte Mitch sich selbst. Er hatte gewusst, dass irgendetwas passiert war, hatte sich aber keine Mühe gemacht, nachzuhaken. Hatte es schon wieder getan: sie in ihrem Schmerz beobachtet und nichts dagegen unternommen. Was für ein Idiot er doch war!
Er fuhr ihr mit den Fingern über die Wange, doch sie reagierte nicht, sondern starrte geistesabwesend auf seine Hemdknöpfe.
»Wenn ich ihn nicht verfolgt hätte, wäre Mrs. Gardner –«
»Nein«, unterbrach Mitch sie barsch und packte sie bei den Schultern. »Denk das nicht, Dani. Es ist nicht dein Fehler.«
Sie rieb sich mit den Händen über die Oberarme. Unbewusst, dachte Mitch. »Sieh zu, dass du aus den nassen Klamotten kommst«, sagte er. »Du zitterst ja.«
Dani machte einen Schritt zurück und schien erst jetzt zu bemerken, wie kalt ihr war. »Chief Gibson hat ein Zimmer in einem Motel für mich
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