Mädchen Nr. 6: Thriller (German Edition)
Mia zu demonstrieren, was passieren würde. Schließlich hatte sich Mia selbst nach Dauerglättungsmitteln für das Haar von Afroamerikanerinnen erkundigt, sie an der Perücke ausprobiert und Darva schließlich zu einer Behandlung überredet. Mia spürte die ganz anders wirkende Haarstruktur, wenn sie sich an bestimmten Stellen mit den Fingern durchs Haar fuhr. Es war ihr geheimes Vergnügen.
Jill Donnelly war die Dritte gewesen. Ihr dunkelrotes Haar hatte Darva in Highlights links und rechts vom Gesicht und am Scheitel eingearbeitet, was ihr ein gewisses Strahlen verlieh. Diesmal hatte Marshall etwas bemerkt. Er hatte die roten Strähnen berührt und mit einem pflichtschuldigen Lächeln gesagt: »Das sieht hübsch aus.« Doch Mia wusste, dass es ihn in Wahrheit nicht interessierte.
Dann die dunklen, fast schwarzen Haare von Rose McNamara. Sie hatte wunderschöne, feste Locken gehabt, deren gesunder Glanz es mit den helleren Strähnen aufnehmen konnte. Marshall hatte nichts dazu gesagt, und Mia nahm an, dass er zu sehr mit den Problemen in der Stiftung beschäftigt war.
Jetzt waren die blonden Locken von Alicia an der Reihe. Während der Perückenkopf mit der Perücke zum Vergleich auf dem Waschtisch stand, versuchte Mia, die blonde Strähne an gleicher Stelle auf ihrem Kopf einzuarbeiten. Sie wagte nicht, damit zu Darva zu gehen. Es war noch zu früh nach Rosies Tod. Da die Leiche gefunden worden war, hatte Mia Angst, dass die Presse etwas über das abgeschnittene Haar schreiben würde. Und wenn es passierte: Ob sich Darva fragen würde, woher Mia das Haar hatte und weshalb sie es damit so wichtig nahm? Weshalb Mia es am Montag so eilig gehabt hatte, die neusten Extensions eingearbeitet zu bekommen? Diese Gedanken würde sie im Hinterkopf behalten müssen.
Sie versuchte, sich zu erinnern, ob ihre Mutter jemals Extensions gemacht hatte – sie war eine Weile auf die Berufsfachschule für Friseure gegangen und hatte in ihrem winzigen Wohnwagen Kunden die Haare gewaschen und geschnitten. Doch das meiste Geld hatte sich ihre Mutter auf traditionelle Weise verdient: als Hure.
Und wenn es wieder einmal knapp wurde, hatte auch ihre Tochter herhalten müssen. Mia war ein bemerkenswert hübsches kleines Mädchen mit grünen Augen und dickem kastanienbraunem Haar gewesen. Ihre Freier hatten drei Mal mehr gezahlt als die Freier ihrer Mutter.
Bis zu jenem Tag, an dem Grady, der Freund ihrer Mutter, ein Auge auf sie geworfen hatte. Als er von Mias Haaren schwärmte, griff ihre Mutter nach der Schere. Ab damit … schnipp, schnapp. Die Schere war so stumpf und rostig, dass sie ihr das Haar mehr ausriss als abschnitt. Die nächsten fünf Jahre hielt Mia den Kopf vor lauter Scham bedeckt, bis sie schließlich von zu Hause wegrannte. Doch davor war ihre Mutter regelmäßig ausgerastet und hatte sie jedes Mal mit der Schere traktiert … Du weißt es ganz genau … schnipp, schnapp … kurz soll es sein …
Mia biss die Zähne zusammen und drängte die Erinnerung zurück. Sie hatte überlebt. Und das war mehr, als man von ihrer Mutter oder Grady behaupten konnte.
Sie ließ die Arme sinken und betrachtete die blonde Strähne auf der rechten Seite ihres Kopfes. Dann kämmte sie das Haar vorsichtig durch. Sie wollte sichergehen, dass die Knötchen, mit denen sie die Strähne befestigt hatte, nicht aufgingen. Erleichtert atmete Mia auf. Es war zwar nicht perfekt, doch als sie sich die Perücke neben das Gesicht hielt und die doppelte Haarpracht im Spiegel betrachtete, fand sie die Ähnlichkeit umwerfend.
Kristina würde überwältigt sein. Mia konnte es kaum noch erwarten.
»Mia.«
Sie erschrak so sehr, dass ihr die Perücke aus der Hand fiel. Unten wurde eine Tür zugeschlagen, und ihre Haushälterin begann, auf Spanisch zu protestieren. Sie stritt sich mit einem Mann.
»Ich will sie sprechen, verdammt noch mal«, verlangte er. »Wo steckt sie?«
Jetzt näherten sich die Stimmen, und Mia hörte, wie ihre Haushälterin dem Mann auf der Treppe folgte.
Mia setzte die Perücke zurück auf den Block und warf ein Handtuch darüber. Dann eilte sie vom Bad ins Schlafzimmer und schaffte es gerade noch in den Flur.
»Señora«, rief Catalina ihr entgegen. »Por favor«, flehte sie und versuchte, den Eindringling aufzuhalten. »Lo siento, Señora!«, entschuldigte sie sich, als ihr das nicht gelang.
»Aus dem Weg«, befahl Brad der erschrockenen Frau. »Ich muss mit Mia sprechen.«
»Schon in Ordnung, Catalina. Lassen Sie
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