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Mädchen und der Leibarzt

Mädchen und der Leibarzt

Titel: Mädchen und der Leibarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Beerwald
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die Schreie zu ignorieren, um selbst ruhig zu bleiben und nicht in Panik zu verfallen. Sie griff das Kind an den Füßen, als ob sie es wickeln wollte. Bloß ruhig und besonnen bleiben, nicht zu fest ziehen. Lukas und das Mädchen hatten ordentlich zu tun, die Beine der Frau festzuhalten.
    Langsam, ganz langsam kamen die Füßchen zum Vorschein, und Helena konnte ihre Hand weiter und weiter herausziehen.
Mit dem Ende der Presswehe waren schon die kleinen Knie zu sehen. Helena jubelte innerlich, aber noch war der kritische Punkt nicht erreicht. Sobald der Hintern des Kindes draußen war, musste es gewendet werden und das bedeutete zusätzliche Qualen für die Mutter.
    Da setzte schon die nächste Presswehe ein, und mittendrin schrie das Dienstmädchen: »Ein Junge, seht doch! Ein Junge!«
    Die freudige Mitteilung schien Sophie noch einmal zusätzliche Kräfte zu verleihen, aber Helena hatte nur noch Augen für die Nabelschnur. Diese hatte sich zwischen den Beinchen hindurchgewickelt, als wolle der Junge darauf reiten. Sophie musste sofort aufhören zu pressen, das Kind bliebe sonst unweigerlich stecken.
    »Atmen, Sophie, atmen! Nicht pressen!«
    »Ich kann nicht mehr! Es soll endlich aufhören! Es zerreißt mich!«
    »Sie haben es bald geschafft!« Helenas Finger zitterten, als sie behutsam nach der Nabelschnur griff und ein Knie des Kindes beugte. Jetzt nur keinen Fehler machen. Vorsichtig zog sie an dem Ende der Nabelschnur, das in die Gebärmutter führte. Sie hielt das Leben des Kindes als seidenen Faden in der Hand. Jetzt nur nicht darüber nachdenken. Ganz ruhig bleiben. Gerade als sie das Beinchen fast aus der Schlinge hätte führen können, bäumte sich Sophie auf. »Ich muss pressen, es geht nicht mehr!«
    »Noch nicht!«
    Aber der kleine Ruck hatte genügt, das Beinchen war von der Nabelschnur befreit. Nun galt es jedoch, den schwierigsten Teil der Geburt zu meistern.
    »Sophie, ihr Kind ist ein kleiner Sternengucker. Wir können
ihm nur gesund auf die Welt verhelfen, wenn ich den kleinen Körper nun in die richtige Lage drehe. Es kann …«
    »Machen Sie schon! Machen Sie! Es soll nur endlich vorbei sein.« Sophie schrie und weinte vor Schmerzen und Erschöpfung.
    »Sie haben mehr Kraft, als Sie glauben. Sie können das! Nur noch einmal pressen, ich verspreche, dann ist es vorbei. «
    Helena passte die nächste Wehe ab. Vor Anspannung vergaß sie fast zu atmen. Ihre Hand glitt im Leib der Gebärenden über den Rücken des Kindes bis in dessen zarten Nacken. Sophie hatte jetzt nicht einmal mehr die Kraft zu schreien. Der Ohnmacht nahe, bekam sie kaum mit, wie Helena das Kind in ihrem Leib drehte und es mit einer letzten Presswehe geboren wurde. Erst mit den kräftigen Schreien des Neugeborenen öffnete Sophie ungläubig die Augen.
    »Es lebt? Sie haben es wirklich geschafft?« Sophie schaute sie ungläubig an.
    »Ich habe nur geholfen.« Helena durchtrennte die Nabelschnur. » Sie haben es geschafft, Sophie! Sie haben Ihren Jungen ganz alleine geboren.«
    »Er schreit, er lebt wirklich.« Mit Tränen in den Augen verfolgte Sophie, wie ihr Kind von dem Dienstmädchen in warme Laken gewickelt wurde. Sein Gesicht war vom Schreien puterrot.
    Helena ließ sich auf einen Stuhl sinken. Wenn der Äskulap das hier alles gesehen hätte – dann wäre ihm wohl nichts Besseres eingefallen, als den neugeborenen Jungen nach Lavaters physiognomischen Regeln zu begucken, um tatsächlich eine Genienase mit breitem Sattel festzustellen. So wie
sich dieses Kind den Eintritt in die Welt verschafft hatte, könnte wirklich ein Genie aus ihm werden, wobei die flache Nase lediglich auf eben diese Geburtsumstände zurückzuführen war. Aber das würde der Äskulap mal wieder nicht einsehen wollen.
    Etwas mitgenommen, aber nicht minder stolz legte das Dienstmädchen den Säugling in die Arme der Mutter.
    Jetzt erst bemerkte Helena, dass der Chirurg noch immer mit dem Rücken zu ihnen saß. »Lukas!«, forderte ihn Helena lächelnd auf. »Die Frau ist wieder züchtig verhüllt, Sie dürfen sich umdrehen.«
    Als hätte er nur auf dieses erlösende Signal gewartet, stand er auf und überzeugte sich, dass tatsächlich geschehen war, was er nur gehört hatte. Er gratulierte der jungen Mutter mit Freudestrahlen, ließ sich das Kind zeigen und fragte dann: »Wohin ist Ihr Eheherr zu Geburtsbeginn gegangen? Ich kann ihm auf dem Heimweg die freudige Nachricht überbringen.«
    Sophie drückte das Kind an sich. »Das ist nicht notwendig. Aber

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