Maedchenauge
gesprochen, der sich um Pratorama kümmert?«
»Ich bin doch nicht blöd. Mir geht es um die Morde, nicht um Pratorama . Ob Pratorama aufgeklärt wird oder nicht, ist mir völlig egal. Ehrlich gesagt würde ich mir sogar wünschen, dass dieser Skandal einfach von der Bildfläche verschwindet.«
»Was soll das heißen?«
»Es gibt eine Verknüpfung zwischen der Politik und den Frauenmorden. Und diese Verknüpfung hat es in sich. Gehen Sie noch einmal die Mordfälle durch. Sie werden jemanden finden, der etwas über verschwundene Akten weiß. Zum Beispiel einer der Angehörigen. Suchen Sie die Verbindung zwischen Pratorama und den Morden. Wenn Sie die finden, ist ein großer Schritt getan.«
»Dann habe ich alle Mörder?«
Heiser lachte der Mann auf. »Sicher nicht. Ein wenig müssen Sie auch allein arbeiten. Sonst merkt man, dass Sie Hilfe in Anspruch genommen haben. Eines kann ich Ihnen aber verraten: Der letzte Mord an der Studentin im siebten Bezirk hängt mit Pratorama nicht zusammen. Hier sind Sie auf sich allein gestellt, da kann ich Ihnen nicht helfen. Trennen Sie das Wesentliche vom Unwesentlichen. Und dann handeln Sie. Den Theseustempel habe ich nicht zufällig ausgewählt.«
Lily runzelte die Stirn. »Was meinen Sie damit?«
»Kennen Sie die Welt der antiken Sagen? Die hat mich schon als Kind fasziniert. Im Labyrinth von König Minos auf Kreta hat der Minotauros gelebt. Eine Art Monster, halb Mensch, halb Stier. Dem sind alle neun Jahre sieben Jungfrauen und sieben junge Männer aus Athen geopfert worden. Theseus hat den Minotauros getötet. Durch seine Tat hat er die Athener von dieser Last befreit.«
»Ist das alles, was Sie mir erzählen können?«
»Im Moment ja. Aber wer kennt die Zukunft? Ich werde beobachten, was Sie tun. Wenn es nötig ist, melde ich mich.«
»Kann ich Sie irgendwo erreichen?«
»Drehen Sie sich einfach um. Jetzt. Machen Sie es bitte. Dann werden Sie begreifen.«
Lily tat es.
»Links steht das Parlament, rechts das Rathaus«, sagte er.
»Okay, und jetzt?«
»Wenn Sie nach rechts gehen, finden Sie mich früher oder später.«
»Dort halten Sie sich auf?«
»Sehr oft. Begreifen Sie, was ich meine?«
Falls der Mann die Wahrheit sagte, musste man ihn folglich im Umfeld des Rathauses vermuten. Unklar war, worauf er im Detail anspielte. Etwa auf den Bürgermeister und dessen Leute. Oder auf eine der Oppositionsparteien.
Vielleicht war er ein frustrierter Politiker aus der dritten Reihe, der sein Wissen loswerden wollte. Oder ein Beamter, der es nicht wagte, die Staatsanwaltschaft direkt zu kontaktieren.
»Was haben Sie mit dem Rathaus zu tun?«, fragte sie, bevor ihr eine andere Idee kam. »Aber es könnte ja auch sein, dass Sie mich bewusst vom Parlament ablenken möchten.«
Sie erhielt keine Antwort.
»Ist das ein verklausulierter Hinweis oder ein Ablenkungsmanöver?«
Lily wandte sich um.
Der Mann war verschwunden.
Sie schaute sich um, ging den Säulengang entlang und suchte die Umgebung mit den Augen ab. Einen Moment lang meinte sie, eine Silhouette in Richtung des Kaiserin-Elisabeth-Denkmals huschen zu sehen. Doch die vielen Touristen und Studenten, die sich im Volksgarten tummelten, machten es unmöglich, einzelne Personen ausfindig zu machen.
Lily atmete tief ein. Aus ihrer Tasche holte sie ihr Handy und notierte stichwortartig, worum es in dem Gespräch gegangen war.
Danach eilte sie zurück in ihr Büro.
Lily kämpfte mit ihrer Intuition. Ein eindeutiges Gefühl, was sie von diesem Mann und seinen Andeutungen halten sollte, hatte sich noch nicht eingestellt. War er bloß ein Scharlatan und Wichtigtuer oder wusste er mehr?
Auch ein möglicher Zusammenhang mit dem Brief des angeblichen Mörders spukte weiter in ihrem Kopf herum. Zweifellos war sie auch beim Theseustempel mit Täterwissen konfrontiert gewesen.
Sie übertrug die Notizen, die sie im Volksgarten angefertigt hatte, in ihren Computer und ergänzte sie.
Wieder und wieder las sie ihre letzte Notiz.
Ein Foto mit drei Mädchen .
23
Unter den Achseln seines weißen Hemdes prangten große, nasse Flecken mit unscharfen Rändern. Das glänzende Gesicht schien noch geröteter als üblich. So sehr hatte ihn die Nachricht erregt.
Michael Schegula ruhte bequem auf einem der beiden Stühle im privaten Büro des Bürgermeisters und konnte Stotz in aller Ruhe beobachten.
Der stand vor der großen Fensterfront und fuchtelte mit ein paar Zetteln herum.
»Zweiunddreißig Prozent!«, sagte Stotz
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