Maedchenauge
Sie achtete darauf, sich nicht in Details zu verlieren. Und sie sprach nicht über ausgestochene Augen, nicht über ein ersticktes Mordopfer und auch nicht über schwarze Lederkleidung.
Nach zwanzig Minuten leitete Lily zu den Fragen der Journalisten über. Einige Medienleute versuchten, durch Lautstärke schneller an die Reihe zu kommen. Doch Lily deutete jeweils auf den Fragenden, den sie anzuhören bereit war.
»Was sagen Sie zu den heute aufgetauchten Fotos?«
»Die Veröffentlichung dieser Bilder war mehr als überflüssig. Sie helfen niemandem weiter. Der Mörder kann dadurch nicht identifiziert werden. Aber das Opfer wird bloßgestellt. Das ist eine Verletzung der Intimsphäre. Und sehr unsensibel. Was sollen die Angehörigen eines Mordopfers denken, wenn solche Bilder in der Öffentlichkeit kursieren?«
»Frau Horn, glauben Sie nicht, dass diese Fotos zu Hinweisen aus der Bevölkerung führen könnten? Und dass es Ihre Aufgabe gewesen wäre, sie zu publizieren?«
Lily nickte und lächelte den Journalisten an. »Es gibt hier zwei Möglichkeiten. Eine Beschreibung des Täters zu veröffentlichen oder eben die Bilder. Beides läuft auf eine Person in schwarzer Motorradkluft mit Helm hinaus. Die Bilder sind überflüssig. Sie haben keinen Mehrwert.«
»Glauben Sie nicht, Frau Horn, dass die Öffentlichkeit ein Recht auf Informationen hat. Es schwirren Gerüchte herum, und viele Leute haben Angst. Warum etwa gibt es erst heute die erste Pressekonferenz?«
»Die Öffentlichkeit hat ein Recht auf Informationen, da haben Sie recht. Auf sinnvolle Informationen, die zu sinnvollen Hinweisen führen können. Was nun die Pressekonferenz betrifft … Ich habe die Ermittlungen am Montag übernommen. Heute ist Donnerstag und wir sind hier in diesem Raum.«
Ein älterer, seriös wirkender Journalist meldete sich. »Gibt es eine heiße Spur? Es war zu hören, ein Verdächtiger hätte Selbstmord begangen. Ist die Mordserie möglicherweise vorbei?«
»Ich befasse mich mit Fakten, nicht mit Möglichkeiten. Und ich gebe keine Zukunftsprognose ab. Lassen Sie mich aber etwas feststellen. Die Person, die für die vier Morde verantwortlich ist, wird der Öffentlichkeit bald bekannt sein. Wir sind dem Täter dicht auf der Spur.«
Als sie dies sagte, fühlte Lily, dass Belonoz ihr von der Seite einen bohrenden Blick zuwarf. Sie wusste, dass sie ihm eine Erklärung schuldig war.
Eine in ein schwarzes Kostüm gequetschte, junge Frau hob ihren Arm. »Frau Staatsanwältin, Mütter machen sich Sorgen um ihre Töchter, weil ein namenloser Killer in Wien unterwegs ist. Es herrscht Angst. Die Behörden verschanzen sich hinter dürren Verlautbarungen. Meinen Sie nicht, dass es zur Pressefreiheit gehört, wenn die Medien Material veröffentlichen? Das ist doch der Sinn der Pressefreiheit in einer Demokratie.«
Einige Journalisten tuschelten. Belonoz beugte sich leicht zu Lily und raunte in ihr Ohr: »Das ist Gaby Koch von Clip24 .«
Lily hauchte ein Danke in Richtung Belonoz und wandte sich an die Fragende. »Frau Koch, Medienfreiheit ist ein hohes Gut. Aber sie bedeutet etwas anderes als die Veröffentlichung von Fotos, die ein späteres Mordopfer in einer sehr privaten Situation zeigen. Diese Art Pressefreiheit wäre die Erfindung eines Idioten.«
Der Lärmpegel im Saal stieg schlagartig. Lily ließ sich nicht beeindrucken und machte gnadenlos lächelnd weiter.
Nach einer Stunde wiederholten sich die Fragen nur noch. Nahezu alle Journalisten legten es darauf an, persönlich mit einer Antwort bedacht zu werden. Lily beendete die Pressekonferenz pünktlich.
Fünf Minuten später saßen sie wieder in Lilys Büro.
»Ihre Antwort auf die Frage der blöden Koch war originell«, sagte Belonoz. »Pressefreiheit als Erfindung eines Idioten … na ja.«
»So habe ich das nicht gesagt.«
»Natürlich nicht, aber man wird Sie so zitieren. Damit habe ich meine Erfahrungen.«
»Gesagt ist gesagt. Ich kann es nicht ändern. Außerdem habe ich es darauf angelegt.«
»Warum?«
Für den Bruchteil einer Sekunde war in Lilys Gesicht ein ungewohnt harter Zug wahrzunehmen. »Um zu zeigen, dass mit uns nicht gut Kirschen essen ist. Niemand soll uns unterschätzen. Außerdem brauche ich die Mithilfe der Eltern von Magdalena Karner. Heute werde ich sie treffen. Wenn sie wissen, dass ich auf ihrer Seite stehe, werden sie kooperieren. Und deshalb war es notwendig, zu den veröffentlichten Bildern klar Stellung zu beziehen.«
»Es wäre gut, wenn
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