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Maedchenlose

Titel: Maedchenlose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Augusti
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hatte kein Herz, das an ihr selbst und ihren eignen Verhältnissen teilnahm, sie vermißte jede lebendige geistige Anregung, sie mußte immer nur geben und mitteilen, ohne dafür zu empfangen. Zwar war sie einigemale der Einladung der lieben Frau Pfarrerin gefolgt und stets mit großer Freundlichkeit aufgenommen worden, aber es blieb doch bei flüchtigen Berührungen, da längeres Entferntsein offenbar nicht gern gesehen wurde. Einmal hatte sie es versucht, mit Frau u. Westheim darüber zu sprechen, ob esnicht gut für Erna wäre, sie mehr mit andern Kindern verkehren zu lassen, »die rührende Innigkeit und tiefe Sehnsucht, mit der sie von der seligen kleinen Schwester spräche ...«, sie konnte nicht vollenden, denn die andere unterbrach sie mit einer hastig abwehrenden Gebärde und rief ihr heftig zu: »Sprechen sie nicht davon, die Wunde verträgt keine Berührung!« Da war Nora erschrocken verstummt, die Seelenqual stand zu deutlich auf dem Gesicht der beraubten Mutter geschrieben; sie hatte es auch nicht gewagt, diesen Gegenstand wieder zu berühren, von dessen Besprechung sie eigentlich einen regern Verkehr für sich und Erna mit dem Pfarrhause erhofft hatte.
    Die einzige Abwechselung in Noras Leben bestand in den Briefen, die sie erhielt; die von ihrer Mutter sagten zwar noch nichts von einer nahen Heimkehr, klangen aber doch viel tröstlicher, als früher. Ihr Vater war hergestellt und konnte wieder seinen Geschäften obliegen; von ihrer Erledigung hing nicht nur die Rückkehr der Eltern, sondern auch die Sicherung ihrer Verhältnisse ab. Den hellsten Sonnenblick aber brachten Ellys Briefe, die ihr ganzes Wesen klar und lebendig wiederspiegelten. Einer derselben lautete:
    Meine süße, heißgeliebte Nora!
    Ach!! mit einem tiefen Seufzer muß ich beginnen. Könnte ich lieber mit Haut und Haaren in diesen Brief steigen, um auf eine einzige Stunde – nein, das würde doch nicht reichen – auf einen Tag zu Dir zu fliegen. Meine Gedanken gehen im Galopp davon und keuchendhinkt die lahme Feder hinter ihnen drein, ohne sie jemals einzuholen. Wie soll ich Dir dabei alles schreiben, was Dir Kopf und Herz erfüllt?
    Meine Nora, ich vermisse Dich unbeschreiblich, der Gedanke an Dich steht mit mir auf und geht mit mir schlafen; die Menschen hier halten mich für eine melancholische junge Dame von gesetztem Wesen, und Mama fragt mich zuweilen, was mir fehle? Nora! seufze ich. Mitunter klagt sie über meine Schweigsamkeit, und Du weißt, das war sonst nicht der Fehler, den sie vorzugsweise an mir rügte.
    Für Deinen Brief küsse ich Dich mit grenzenloser Zärtlichkeit, er ist wie Du selbst! nur einen Fehler hat er, daß er nicht zwanzigmal länger ist. Du schreibst mir viel, aber noch lange nicht genug; ich möchte Dich auf jedem Schritt begleiten, mich ganz in Dein Leben versetzen können. Du giebst mir zwar ein genaues Bild von Erna, aber Du sagst nichts von Westheims, nichts von neuen Bekannten, die Du doch sicher gewonnen hast. So eifersüchtig ich – trotz Tante Cäcilie – auf eine neue Freundin werden könnte, so sehr wünsche ich Dir doch angenehmen Verkehr, ohne den Dein Leben ja entsetzlich eintönig wäre. Du sagst auch kein Wort von Axel Lilienkron, der doch gewiß häufig in das verwandte Haus kommt. Ist der gute Junge Deiner Beachtung so gänzlich unwert geworden? Du konntest doch noch im Frühjahr so herzlich über seine Witze lachen. Werde mir nur nicht zu ernst, meine Herzens-Nora, zuweilen erfaßt mich eine Seelenangst, Du könntest mir in jeder Hinsicht so vollständig über den Kopf wachsen, daßDu Deine Elly nicht mehr so lieben könntest wie bisher – o Nora, wie sollte ich das ertragen?
    Wenn nicht die Sehnsucht nach Dir und meinem lieben alten Papa, ja mitunter sogar nach dem braven Arthur über mich käme, so würden wir hier ein Götterleben führen. Die Gegend ist über alle Beschreibung schön, die dicht bewaldeten Berge mit ihren großartigen Felspartieen, die Schlösser und Ruinen mit ihrer Pracht und Romantik, die eleganten Promenaden mit ihrem bunten Gewimmel von Menschen aller Nationen – das alles bietet so unerschöpflichen Stoff zum Schauen, Staunen und Amüsieren, daß der Tag oft zu kurz erscheint, um alles recht zu genießen. Könntest Du nur mit mir beobachten, bewundern und – ein wenig medisieren, man kann wirklich nicht davon lassen, wenn man manche Gestalten erscheinen sieht. Da ist die schöne Französin, von der man sagt, daß der liebe Gott gar keinen Teil an ihrer

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