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Maedchenmoerder Ein Liebesroman

Titel: Maedchenmoerder Ein Liebesroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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die Pizza - abgesehen von den verschütteten Spaghetti in Oudenaarde - meine erste warme Mahlzeit seit nahezu einer Woche war, verging mir der Appetit. Er hingegen schien sich für sein Vorhaben stärken zu wollen. Nach seiner Capricciosa verdrückte er noch einen Eisbecher mit Kirschen. (Die Sahne rührte er allerdings nicht an.) Ich malte derweil mit meiner Gabel Muster auf die Wachstischdecke. Als ich merkte, dass ich an einer Stelle bereits ein Loch hineingebohrt hatte, schaute ich aus dem Fenster. Die Sonne versank, ein Steinbruch - ich vermute, dass es sich um Kalk handelte - leuchtete auf, und ich fragte mich, welcher Perverse auf das Kraftwerk, das am gegenüberliegenden Rhôneufer in den Abendhimmel dampfte, das riesige nackte Kind gemalt hatte, das aus einer Muschel Sand rieseln ließ. (Vielleicht sollte auch dies »Kunst an der Autobahn« sein. Schließlich war mir das Kraftwerk schon am Nachmittag aufgefallen, als mein Peiniger bei Montélimar-Nord von der Autobahn heruntergefahren war.)
    Als er nach dem Essen einen kleinen »Verdauungsspaziergang« machen wollte, fragte ich, ob ich nicht im Auto bleiben könne. Er grinste nur, als ob ich etwas besonders Einfältiges gesagt hätte. Mein Herz klopfte, als ich neben ihm die Landstraße entlangging, das verdammte Kraftwerk immer am Blickfeldrand. Selbst als es dunkel geworden war, konnte man es dampfen sehen. (Wenigstens hatte die Nacht das nackte Kind verhüllt.)
    Wer sich diesen Spaziergang am Rhôneufer nun irgendwie romantisch vorstellt, den muss ich enttäuschen. Die Rhône ist nicht romantisch. (Zumindest nicht rund um Montélimar. Ich frage mich ohnehin, woher es kommt, dass wir insgeheim immer noch Auen , Nebelbänke , Fischreiher denken, wenn wir »Flussufer« hören. Anstatt Kraftwerke , Betondämme , Frachtschiffe . Aber vielleicht gehöre ich ja wirklich zur allerletzten Generation, die solche altmodischen Bilder im Kopf hat.) Die Einzigen, die - in völlig unangebrachter Weise - versuchten, für Romantik zu sorgen, waren die Zikaden.
    Noch besser konnte man ihre Nachtmusik auf dem Parkplatz hören, auf dem mein Peiniger kurze Zeit später parkte. Es war ein verlassenes Stück Erde, und das Hotel, zu dem der Parkplatz gehörte, sah aus, als ob man im letzten Jahrhundert vergessen hätte, es abzureißen. Während ich die Auberge de la Tête Noire betrachtete, wurde mir klar, dass Plastikhotels vielleicht doch nicht das Schlimmste waren. Der Schriftzug auf der krumm herunterhängenden Markise war so zerfleddert, dass dort nur noch » ETE NOIR « zu lesen war, und dann entdeckte ich einen weiteren Schriftzug oben am Haus, der gemeinsam mit der Fassade verblasst war. Dort stand » LA TÈTE NOIRE «, und ich fragte mich, ob der Akzent deshalb falsch war, weil der Patron nicht richtig schreiben konnte. Oder ob der halbe circonflexe abgebröckelt und so zum accent grave geworden war.
    Auch wenn die Landschaft im südlichen Rhônetal rein gar nichts mit einem deutschen Mittelgebirge zu tun hat, musste ich dennoch an das »Wirtshaus im Spessart« denken. In meiner Kindheit hatte ich den Film um Weihnachten herum im Fernsehen gesehen und meinen Eltern daraufhin in den Ohren gelegen, dass wir unbedingt einen Ausflug in den Spessart machen müssten. Als wir dann tatsächlich in den Spessart gefahren waren und ich den ganzen Tag vergeblich nach dem Wirtshaus Ausschau gehalten hatte, hatte mein Vater mir schließlich erklärt, dass dieses spezielle Wirtshaus doch nur eine Erfindung sei. Ich war restlos enttäuscht gewesen - und überzeugt, mein Vater habe das mit der Erfindung bloß gesagt, weil er in Wirklichkeit zu blöd (oder bequem) war, das richtige Wirtshaus zu finden. (Sollte jemand von Ihnen auf den Gedanken kommen, bei seiner nächsten Urlaubsfahrt gen Süden nach der Auberge de la Tête Noire Ausschau zu halten, möchte ich Sie bitten, dies nicht zu tun. Und zwar nicht, weil es dieses Hotel nicht gäbe. (Alles ist genau so, wie ich es beschrieben habe.) Doch ganz gleich, was mein Peiniger mir für unerfreuliche Geschichten über den Patron erzählt hat: Der arme Mann musste schon genug Leid ertragen und hat es nicht verdient, dass jetzt auch noch Schaulustige sein Hotel belagern. Sollten Sie allerdings zu den Wagemutigen gehören, die bereit sind, eine Nacht in dieser Herberge zu verbringen, in der sonst nur Fernfahrer und »zweitklassige« Radsportteams absteigen - bitte, dann will ich Sie nicht aufhalten. Vielleicht hätte die grausame Geschichte

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