Maedchenmoerder Ein Liebesroman
auch Du. (Aber ich sah ja, dass Du lebtest, so heftig hob und senkte sich Deine Brust, heftiger noch, als wenn Du schliefst.)
Begreifst Du jetzt, warum ich dieses Messer nehmen und uns in diesem weißen Fleisch verewigen musste ?
Allerdings war es um die Heiligkeit des Augenblicks ohnehin geschehen, als ich das Schild erspähte, das einige Meter entfernt an eine Buche genagelt war: » DÉCHARGE INTERDITE « - » MÜLLABLADEN VERBOTEN «.
Ich höre mein eigenes Gelächter, nachdem ich die Augen geschlossen und bis zehn gezählt habe, und das Schild immer noch dort hängt. Ich höre Dein Gelächter, das losbricht, nachdem Du Dich umgedreht hast, um zu schauen, was meine Heiterkeit verursacht. Ich höre das Laub rascheln und die toten Zweige knacksen, während wir uns beide vor Lachen wälzen.
Hätte ich ahnen müssen, wie furchtbar alles nur eine Woche später enden würde? Aber an jenem Sonntagmittag fühlte ich den Himmel doch so auf unserer Seite …
Lieber David!
Über wie viele Bergpässe sind wir in den Pyrenäen geflogen? Über fünf? Sechs? Sieben? Leider kann ich in meinem Atlas das Vallée d’Ossoue nicht finden, obwohl ich sicher bin, dass es in der Nähe vom Cirque de Gavarnie liegen muss. (Es ist mir ein Rätsel, wie Du es geschafft hast, auf unserer ganzen Reise ohne Atlas zurechtzukommen. Ich dagegen habe wohl die peinliche Kartenabhängigkeit meiner Mutter geerbt. Hoffentlich fange ich nicht auch eines Tages an, den Straßenatlas einzupacken, bevor ich von Köln nach Düsseldorf fahre...)
Erinnerst Du Dich noch, wie ich den Col du Tourmalet getauft habe? Richtig. Col du Tortur-malet . (Und erinnerst Du Dich auch noch, dass es das erste Mal war, dass Du mich »schlaues Mädchen« genannt hast?)
Ich sehe den steilen Gebirgskamm vor mir, die trostlosen Sessellifte, die Serpentinen und vor allem die weißen Namen auf dem Asphalt. An die Geschichten, die Du mir über Deine ehemaligen Kollegen erzählt hast, erinnere ich mich leider nicht mehr, ich weiß nur noch, dass Du Dich über den Spinner lustig gemacht hast, der fünfzig Mal »ULLE« auf die Straße gepinselt hat, obwohl Jan Ullrich bei dieser Tour de France ja gar nicht hatte starten dürfen. (Und ich könnte vor Scham versinken, wenn ich daran denke, dass ich Dich gefragt habe, ob »ETA« ein besonders beliebter Fahrer sei, weil »sein« Name so oft zu lesen war... Danke, dass Du mich nicht zu den Schafen am Straßenrand gesetzt, sondern Dich damit begnügt hast, vor Lachen um ein Haar die nächsten Kurve zu verpassen...)
Das Allerschönste an jenem Pyrenäensonntag war aber, dass ich plötzlich begriffen habe, was Radfahren Dir bedeutet hat, und wieso etwas in Dir kaputt gehen musste, als endgültig klar gewesen war, dass Du nie wieder würdest fahren können. Ich habe mich bei unserer Bergund Talfahrt so stark und frei wie der Geier gefühlt, der über dem Tourmalet kreiste (und ich bleibe dabei: es war ein Geier und kein Falke, wie Du gemeint hast - denk daran, in welchem Zustand sich unsere arme Hermana so kurze Zeit später befunden hatte...) - wenn ich mich also schon so stark und frei gefühlt habe, um wie viel stärker und freier musst Du Dich erst gefühlt haben, als Du Dich diese ganzen Cols und Ports noch aus eigener Kraft hinaufgekämpft hast? Ganz zu schweigen von dem Gefühl, auf diesen schmalen Straßen ins Tal hinabzuschießen. Ich konnte nachempfinden, wie sehr Dich die Scharen von rotgesichtigen Freizeitfahrern reizen mussten, die sich ohne jegliche Anmut Deine Anstiege hinaufquälten. Wahrscheinlich hast Du so gelitten, wie Beethoven gelitten hätte, hätte er sich eins unserer Schulkonzerte anhören müssen. Ich kann Dir nur zustimmen: Solche Berge sind nicht dafür gemacht, dass der gemeine Mensch sie auf zwei Rädern erklimmt. Und deshalb sollte der gemeine Mensch seine Finger - oder besser: seine Beine von diesen Bergen lassen.
Wie sehr bedauere ich, dass ich Dich nie habe fahren sehen. Ich weiß nicht, ob es Bergpanther oder Bergleoparden gibt (in den Pyrenäen sicher nicht) - jedenfalls stelle ich mir vor, dass Du die Berge früher so hinaufgepirscht bist.
Es ist traurig, aber selbst im Internet sind keine brauchbaren Rennfotos von Dir zu finden, sondern immer nur dieses eine Bild, auf dem Du völlig fertig über dem Lenker hängst. (Reg Dich bitte nicht auf: Aber ausgerechnet dieses Foto haben die Medien natürlich am liebsten gedruckt...) Das einzige Bild, das mir gefällt, ist das Foto von Deinem Sieg,
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