Maenner fuers Leben
wende mich vom Fenster ab und sage mir, ich suche nicht nach einem Beweis, weder für dieses noch für jenes. Vielleicht verschließe ich einfach die Augen vor der Wirklichkeit, aber ich will morgen früh ins Flugzeug steigen und nach New York fliegen und meine Fotos machen und Leo sehen, damit mir wieder wohler ist – mit der Vergangenheit, mit meiner Ehe, mit meiner Freundschaft zu Margot, mit meiner Arbeit und mit mir selbst. Ich weiß nicht genau, wie das gehen soll, aber ich weiß, es wird nicht gehen, wenn ich hier in diesem Haus bleibe.
Ich knipse Andys Lampe aus und gehe wieder ins Bett. Ich habe das Gefühl, ich sollte weinen, aber halb erschrocken, halb erleichtert erkenne ich, dass die überwältigenden Gefühle, die ich eben noch empfand, als Andy im Raum war, abgestumpft sind. Tatsächlich bin ich so gefasst und ungerührt, als beobachtete ich die Nachwehen eines großen Streits bei einem anderen Ehepaar und wartete nur darauf, was wohl als Nächstes passieren wird: Bleibt sie, oder geht sie?
Ich schließe die Augen, erschöpft und ziemlich sicher, dass ich gleich einschlafen könne, wenn ich mich ein bisschen bemühe. Aber das gestatte ich mir nicht. Denn zumindest ein bisschen bin ich im Recht, und wenn ich jetzt einschlafe, dann wäre ich die gefühllose Ehefrau, die sich nicht um die Nachtruhe bringen lässt, wenn ihr verzweifelter Ehemann durch die leeren Straßen im Kreis herum fährt.
Statt zu schlafen, versuche ich also, Andy auf dem Handy anzurufen. Ich rechne fest damit, seine fröhliche Ansage zu hören, mit der vertrauten Hupe des vorbeifahrenden Taxis im Hintergrund. Komm ja nicht auf die Idee, diese Ansage zu ändern , habe ich kürzlich noch zu ihm gesagt; ich weiß nicht, ob ich seine muntere Stimme oder den New Yorker Hintergrundlärm behalten wollte. Aber er meldet sich nicht – und auch nicht, als ich noch dreimal auf die Wahlwiederholung drücke. Offensichtlich will Andy nicht mit mir sprechen, und weil ich keine Ahnung habe, was ich ihm sagen will, hinterlasse ich keine Nachricht. Bei Margot will ich nicht anrufen, obwohl ich sicher bin, dass er irgendwann dort landen wird. Sollen sie sich nur gegen mich zusammenrotten. Sollen sie Stella dazurufen, eine gute Flasche Wein aufmachen und sich gegenseitig ihre Überlegenheit versichern. Sollen sie ihren Kram machen, während ich meinen mache. Ich starre in die Dunkelheit und fühle mich einsam und bin zugleich froh, allein zu sein.
Einige Zeit später gehe ich ruhelos nach unten. Hier ist alles dunkel und aufgeräumt, wie Andy und ich es hinterlassen haben, als wir ins Bett gegangen sind. Ich gehe geradewegs zum Barschrank und gieße mir einen Wodka in ein kleines Saftglas. Allein zu trinken, wirkt immer wie ein deprimierendes Klischee, und ich will jedes Klischee vermeiden, unbedingt. Andererseits ist Wodka genau das, was ich in diesem Augenblick will, und «was Ellen will» ist ja anscheinend überhaupt das Wichtigste. Das würde mein Mann jedenfalls ganz sicher behaupten.
Ich stehe mitten in der Küche und habe plötzlich das dringende Verlangen nach frischer Luft. Ich gehe zur Hintertür und sehe, dass Andy die Alarmanlage wieder eingeschaltet hat, als er draußen war. Vielleicht hasst er mich, aber er will immer noch, dass mir nichts passiert. Wenigstens etwas, denke ich, als ich auf der Verandatreppe sitze, die inzwischen mein Lieblingsplatz in Atlanta ist. Ich trinke meinen Wodka und lausche den Zikaden und der schweren, schwülen Stille.
Ich habe meinen Drink längst ausgetrunken, ein letztes Mal auf Andys Handy angerufen, bin ins Haus gegangen, habe die Hintertür verschlossen und das Glas in die Spüle gestellt, als ich seinen Zettel finde. Ich weiß nicht, wie ich ihn habe übersehen können; er liegt mitten auf der Theke, ein gelber Post-it-Block, den wir normalerweise für ganz andere Mitteilungen verwenden – «Ich liebe dich» oder «Einen schönen Tag!» oder «Brauche neue Rasierklingen». Mein Magen krampft sich zusammen, als ich den viereckigen Block aufhebe, unter die Herdbeleuchtung halte und Andys Blockbuchstaben lese:
WENN DU GEHST, KOMM NICHT WIEDER.
Ich schäle das Blatt vom Block herunter und frage mich nicht , was ich morgen früh tun soll, sondern nur, was ich mit diesem Zettel anfangen soll. Soll ich eine Antwort unter seine Mitteilung schreiben? Soll ich den Zettel zusammenknüllen und auf der Theke liegen lassen? Oder ihn in den Mülleimer werfen? Ihn in mein Tagebuch kleben, als traurige
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