Maenner fuers Leben
durchströmt von dem kribbelnden Wissen, dass er nur ein Stockwerk über mir in einem Bett wie meinem liegt, vielleicht genau das Gleiche träumt wie ich, vielleicht sogar wach ist und sich wünscht, es könnte passieren. Genau wie ich.
Es wäre so leicht, denke ich. Ich brauchte nur zum Telefon zu greifen, Zimmer 612 anzurufen und zu flüstern: Kann ich zu dir kommen?
Und er würde sagen: Ja, Baby. Komm .
Ich weiß, dass er es sagen würde. Ich weiß es wegen des Auftrags morgen – wegen der Tatsache, dass wir beide hier in L.A. sind, im selben Hotel. Ich weiß es wegen des unmissverständlichen Blicks, den er mir in der Bar zugeworfen hat, eines Blicks, der auch Suzanne nicht entgangen ist. Aber vor allem weiß ich es, weil wir uns einmal so gut miteinander gefühlt haben. So sehr ich mich bemühe, es zu leugnen und zu ignorieren oder mich darauf zu konzentrieren, wie es zu Ende gegangen ist, ich weiß doch, was da einmal war. Und er muss sich auch daran erinnern.
Ich schließe die Augen, und ein Gefühl fast wie Angst lässt mein Herz rasen, als ich mir vorstelle, wie ich aufstehe, mich lautlos durch die Korridore zu Leos Tür schleiche und einmal klopfe, wie er vor langer Zeit während unseres Geschworenen-Dienstes an meine Tür geklopft hat. Ich sehe ihn deutlich, wie er dahinter auf mich wartet, unrasiert und mit verschlafenen Augen, wie er mich zu seinem Bett führt und langsam auszieht.
Unter seiner Decke würde es keine Diskussionen darüber geben, warum wir uns getrennt haben, keine Gespräche über die letzten acht Jahre oder über irgendetwas oder irgendjemanden anderes. Es würde überhaupt keine Worte geben. Nur unsere Geräusche – Atmen, Küssen, Sex.
Ich sage mir, dass es eigentlich nicht zählen würde. Nicht, wenn ich so weit weg von zu Hause bin. Nicht mitten in der Nacht. Ich sage mir, dass es nichts weiter wäre als die nebelhafte Fortsetzung eines Traums, der zu beglückend und zu real war, um ihm zu widerstehen.
Als ich ein paar Stunden später wieder aufwache, strahlt die Sonne durch das Fenster, und Suzanne tappt im Zimmer umher und ordnet ihre und meine Sachen, während stumm der Fernseher läuft.
«Verflucht, ist das hell», stöhne ich.
«Ich weiß», sagt sie und blickt von ihrer Toilettentasche auf. «Wir haben vergessen, die Jalousien zuzumachen.»
«Wir haben auch vergessen, eine Kopfschmerztablette zu nehmen.» Ich blinzle, denn es pocht in meiner linken Schläfe, und ich empfinde ein Maß an Schuld und Reue, das mich daran erinnert, wie man früher auf dem College beschämt durch den Flur geschlichen ist – am Morgen, nachdem man sich durch Alkohol und laute Musik und den Schleier der Nacht hat verleiten lassen, jemanden zu küssen, mit dem man sonst wahrscheinlich nicht einmal gesprochen hätte. Beruhigend sage ich mir, dass es überhaupt nicht das Gleiche ist. Letzte Nacht ist nichts passiert. Ich hatte einen Traum. Das ist alles. Träume bedeuten manchmal – oft – gar nichts. Einmal, als von der Zahnspange gefolterter Teenager, hatte ich einen abscheulich aufreizenden Traum über meinen Kieferorthopäden, einen unauffälligen Fußball-Daddy mit Halbglatze, der außerdem auch noch der Vater einer Klassenkameradin war. Und ich kann garantieren, dass ich Dr. Popovich auf keiner Ebene begehrt habe – nicht mal auf der unterbewussten.
Aber tief im Innern weiß ich, dass dieser Traum nicht aus dem Nichts gekommen ist. Und noch wichtiger ist: Ich weiß, das Problem ist nicht der Traum an sich, sondern das Gefühl, das ich danach hatte, als ich wach war. Und ich fühle mich immer noch so.
Ich setze mich auf und strecke mich, und schon als ich die Horizontale verlassen habe, geht es mir besser. Als ich vollends aufgestanden bin, schalte ich in einen professionellen, effizienten Modus, und sogar Suzanne gegenüber schlage ich einen knappen, geschäftsmäßigen Ton an. Ich kann es mir nicht leisten, irgendwelchen lächerlichen, irregeleiteten Phantasien nachzuhängen, wenn ich ein gigantisches, karrierebestimmendes Shooting vor mir habe. Wie mein Mentor Frank sagen würde: It’s show time .
Aber ein paar Stunden später, als ich einen gründlichen Batteriecheck und eine Inventur meines Equipments vorgenommen, meinen Freelance-Assistenten zur Bestätigung unseres Terminplans angerufen und mich dreimal bei der Geschäftsführerin des Restaurants vergewissert habe, dass sie das Lokal tatsächlich für zwei Stunden schließt, wie Drakes Leute es wünschen, stehe ich
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