Maenner in Freilandhaltung
Verachtung, dass ich unwillkürlich zusammenzuckte. Ebenso gut hätte er mir vor die Füße spucken können. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ließ mich einfach stehen.
Die »Aussprache« mit Jan hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Anstatt das Missverständnis aus der Welt zu schaffen, hatten sich die Fronten weiter verhärtet. Dass Jan mir tatsächlich zutraute, etwas mit meinem Schwager anzufangen, setzte mir ganz schön zu.
Als ich nach Hause zurückkehrte, fühlte ich mich niedergeschlagen und deprimiert, und weil noch ein bisschen Zeit war, bevor Christopher aus der Schule kam und die Zwillinge vom Kindergarten abgeholt werden mussten, rief ich Jette an, um zu fragen, ob sie Lust habe, auf einen Kaffee bei mir vorbeizuschauen. Sie war erst am Vorabend aus Hamburg wiedergekommen, und wir hatten uns seit ihrer Abreise nicht mehr gesprochen.
Fünf Minuten später stand sie mit einer Dose Plätzchen und einer nicht minder großen Portion guter Laune vor der Tür. Genau das, was ich jetzt dringend brauchte!
»Warum bist du überhaupt zu Hause? Müsstest du nicht mit Ernie in der Hundeschule sein?«, fragte Jette, nachdem wir es uns mit Kaffee und Gebäck am Küchentisch gemütlich gemacht hatten und sie kurz von ihrem Hamburg-Trip erzählt hatte.
»Eigentlich schon«, antwortete ich gedehnt und schob mir, um etwas Zeit zu gewinnen, noch einen von Jettes köstlichen Keksen in den Mund. »Aber weißt du, Ernie hat mir heute Morgen gar nicht gefallen. Er hat sich so komisch benommen. Ich glaube, er brütet was aus. Da fand ich es besser, nicht mit ihm in die Hundeschule zu gehen.« Als Jette nichts darauf erwiderte, setzte ich noch hinzu: »Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Am Ende steckt er noch die anderen Welpen an. Das wollen wir ja schließlich nicht.«
»Nein, das wollen wir nicht.«
Der Sarkasmus in ihrer Stimme war kaum zu überhören. Sie sah durch das Fenster hinaus in den Garten, wo Ernie gerade eine Amsel jagte. Dann bedachte sie mich mit einem strengen Blick.
»Ja, jetzt wirkt er wieder putzmunter«, verteidigte ich mich. »Aber du hättest ihn mal heute Morgen sehen sollen. Ein richtiges Häufchen Elend.«
»Erzähl mir nichts, du schwänzt.«
Ich seufzte. »Nein, wirklich nicht ... Ich meine, ja ... Okay, erwischt.« Ich erzählte Jette von den Vorfällen auf dem Sommerfest und von meinem deprimierenden Arbeitseinsatz in der Hundeschule. »Er hat mich behandelt wie einen Schwerverbrecher. Und es hat ihn überhaupt nicht interessiert, was ich zu sagen hatte.«
»Ihr kennt euch noch nicht besonders lange«, gab Jette zu bedenken.
»Na und? Auch wenn wir uns noch nicht lange kennen, würde ich Jan trotzdem nicht zutrauen, dass er alte Omas beklaut oder verheirateten Frauen nachstellt. Oder ich würde mir zumindest mal seine Version der Geschichte anhören, bevor ich ihn verurteile.«
»Aus Jans Sicht war die Situation eindeutig. Für ihn gibt es nur diese eine Version.«
Eine Weile knabberten wir schweigend an unseren Keksen herum.
»Was macht dein Kochbuch?«, versuchte ich dem Gespräch eine erfreulichere Richtung zu geben.
»Fast fertig. Langsam sollte ich mir wirklich mal Gedanken machen, wie es danach weitergeht.« Jette zerbröselte einen Keks zwischen den Fingerspitzen und schob die Krümel zu einem Häufchen zusammen.
»Ich bin beim Einkaufen übrigens gestern an der Dorfschenke vorbeigekommen.« Was an und für sich nicht weiter erwähnenswert war, denn egal, wo man im Dorf auch hinwollte, eigentlich kam man immer an der Dorfschenke vorbei. »Sieh dir das Restaurant doch einfach mal von innen an«, ermunterte ich Jette. »Wenn dir der Laden nicht gefällt, brauchst du dir nicht weiter den Kopf darüber zu zerbrechen.«
»Ich weiß nicht.« Nachdenklich wiegte Jette den Kopf hin und her. »Und wenn er mir doch gefällt?«
»Darüber machen wir uns dann Gedanken.«
Es war mir tatsächlich gelungen, Jette weich zu klopfen und mit der Maklerin kurzfristig für Samstagvormittag einen Besichtigungstermin zu vereinbaren. Jette hatte ihren Cousin, der im Nachbarort wohnte, gebeten, uns zu begleiten. Er war Architekt und hatte sich bereit erklärt, die Bausubstanz des alten Fachwerkhauses unter die Lupe zu nehmen. Denn was nützte das schönste Restaurant, wenn einem im wahrsten Sinne des Wortes die Decke auf den Kopf fiel? Die Dorfschenke hatte schon ein paar Jährchen auf dem Buckel. Möglicherweise hatte nicht nur der Zahn der Zeit, sondern auch der Holzwurm am Gebälk
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